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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Keiner der Unternehmer wollte in einer solchen Situation helfen. Diese Männer lebten in ihren großen Häusern mit Hausmädchen und Gärtnern, Sahne in ihrem Kaffee und Brathähnchen, wann immer ihnen danach war. Sie hätten uns das Wechselgeld aus ihren Hosentaschen geben und damit das Jahresgehalt eines Verkrüppelten zahlen können. Aber sie taten es nicht. Vielleicht war Geld eine Krankheit, die sich in ihren Venen ausbreitete, jedenfalls konnten sie nie genug davon bekommen. Sie ließen einen Mann wegen einer schlechten Grubenkonstruktion ums Leben kommen und lieferten seine Frau und seine Kinder dem Hungertod aus, ohne mehr als ein oder zwei Geldscheine auf den Sarg zu werfen. Versteinerte Herzen und keine Gefühle. Wie eine Frau, die imstande war, ihr eigenes Kind zu töten. Wir konnten nichts gegen die Unternehmer tun. Aber wir konnten vielleicht etwas wegen der Frau tun.
    Der Himmel färbte sich an jenem Abend immer dunkler rosarot, und die Bäume reckten sich in die Höhe, als wollten sie sich an ihm wärmen.
    »Hast du den Nigger gestern zur Arbeit gefahren?«, fragte Ban.
    Die Grillen begannen gerade zu zirpen. Es waren nur halbherzige Laute, als bewunderten auch sie den Sonnenuntergang.
    »Hm.«
    »Gut mit ihm befreundet?«, meldete sich Oscar zu Wort. Er war kein gemeiner Mann, und seine Worte klangen nicht einmal gehässig. Eher so, als hätte er das Gefühl, sich auch dazu äußern zu müssen.
    »Ihr beide kennt ihn doch auch seit Jahren«, meinte ich. »Er hat einen Namen. Und an Jonah ist nichts auszusetzen.« Ich klang eher müde als gereizt. Die Worte stiegen mit dem Rauch in die Luft und verweilten dort einen Moment. Keiner entgegnete etwas. Ich nahm mir Zeit, meine nächste Zigarette zu drehen, strich das Papier auf meinem Schenkel glatt und zupfte etwas Tabak aus der Dose.
    »Nigger arbeiten nicht so wie wir«, erklärte Ban schließlich, nachdem ich den ersten Zug gepafft hatte.
    Nach dieser Bemerkung rauchte ich die Hälfte der Zigarette, während die Schaukelstühle knarzten. Ich saß gerne auf meiner Veranda, schaukelte und rauchte. Man weiß, mit wem man es zu tun hat, wenn man sieht, wie jemand schaukelt – gemächlich und ruhig, fahrig und ruckartig, langsam und faul wie eine Schnecke. Bans Stuhl knarrte schüchtern, als befürchtete er, dass die Veranda fauchen und ihn beißen könnte, falls er zu hart auf ihr aufkam.
    Ein Wort oder ein Kichern drang hin und wieder von den Kindern zu uns herüber. Diese Kinder wussten nicht, wie es war, mit einem schwarzen Kind zu tun zu haben – genauso wenig wie ich wusste, wie man einen Tunnel nach China grub. Auch Leta erging es nicht anders. Ihre Pfade kreuzten sich höchstens dann einmal mit den schwarzen Frauen, wenn es im Bergwerk einen Unfall gegeben hatte. Einige Schwarze vertranken ihren Lohn, und ein paar waren faul. Sie tauchten nicht zur Arbeit auf, wenn es mal kein Geld gab. Ich wusste allerdings nicht, ob das irgendetwas damit zu tun hatte, dass sie Schwarze waren.
    Wenn man Schulter an Schulter mit einem Mann arbeitete und die Loren mit ihm schob, änderte das die Sicht auf die Dinge. Vor einigen Jahren verbrannten fünf Kumpel bei einer Gasexplosion, und als man ihre Leichen herausbrachte, waren sie alle schwarz wie die Kohle. Eine schwarze und eine weiße Frau standen da und starrten auf denselben Toten. Wenn Ehefrauen so nebeneinanderstanden und versuchten herauszufinden, welcher dieser verkohlten Baumstämme ihr Mann war, bedeutete das etwas.
    »Sie dürften nicht in der Gewerkschaft sein«, sagte Oscar.
    Er und Ban redeten im Grunde nur so vor sich hin. Sie waren nicht wütend, und eigentlich war es ihnen egal, dass ich Jonah in meinem Wagen zur Arbeit gefahren hatte. Sie wiederholten nur dasselbe Gerede wie alle – so wie Kinder immer wieder Schlaflieder singen. Ich schaukelte weiter. Sie hatten dieselben Dinge gesehen wie ich, und Oscar klammerte sich nur an einen letzten Strohhalm, wenn er die Gewerkschaft anführte. Es war nicht einmal mehr eine richtige Gewerkschaft. Doch trotz der Aufschreie und der Aufregung darüber, dass Schwarze und Weiße am selben Tisch saßen, hatten sich doch alle recht problemlos miteinander gemischt. Zum einen war ihnen nichts anderes übrig geblieben, da die United Mine Workers darauf bestanden hatten. Zum anderen musste jeder Mann mit einem halbwegs funktionierenden Verstand inzwischen kapiert haben, dass alle Rädchen ineinandergriffen und die riesige Maschine nur gemeinsam zum Laufen

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