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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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mehr.«
    Jetzt verstand ich und schämte mich dafür, dass ich ihn um sein Klavier beneidet hatte. »Wie viel Kredit räumst du ein?«
    »So viel wie nötig. Ich kann doch niemandem sagen, dass er seinen Kindern nichts mehr zu essen geben kann, nur weil die Gruben schließen.«
    »Und wie viel Außenstände hast du?«
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne.
    »Du weißt doch, dass ich’s niemand weitersag«, fügte ich hinzu.
    »Ich nehm an, dass einige Dutzend mir jeweils zwei- oder dreihundert Dollar schulden. Insgesamt also ein paar Tausend, würde ich sagen.«
    »Merilyn weiß davon«, meinte ich und war mir sicher, dass sie es tat.
    »Natürlich. Sie würde mir ganz schön einheizen, wenn ich keinen Kredit gäbe. Kannst du dir vorstellen, dass sie einen Mann wegschickt, der hier bei uns Lebensmittel kaufen will, nur weil er kein Geld hat?«
    Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, ihm auf diese Frage zu antworten. »Wie schlimm steht’s?«
    Er zuckte die Achseln. »Ach, es bedeutet nicht, dass wir kein Essen auf dem Tisch haben. Uns geht’s immer noch besser als den meisten. Ich plan, nächsten Monat das Möbelgeschäft zu schließen. Vielleicht halt ich auch noch etwas länger durch. Das Warenhaus schafft’s vielleicht noch bis ins Frühjahr.«
    »Ich weiß leider nicht, wie ich dir helfen kann.« Die Summen, von denen er sprach, waren zu groß, um sie mir auch nur vorzustellen. Jegliche Hilfe, die ich ihm zukommen lassen konnte, wäre nicht viel mehr als ein Taschengeld für die Kinder gewesen.
    »Ach, komm … Ich würde dich auch um nichts bitten wollen. Im Grunde hätte ich es nicht mal erwähnen sollen, es lastet nur in letzter Zeit auf mir. Fühlt sich gut an, mal drüber zu reden.«
    »Weiß deine Familie Bescheid?«
    »Nicht die ganze.«
    »Ich werd für euch beten und hoffen, dass sich die Dinge doch noch zum Guten wenden.«
    Ehe sich die Dinge für ihn zum Guten wendeten, musste es allerdings erst mal für die ganze Stadt wieder bergauf gehen. Es gab also vermutlich schon recht viele Gebete in diese Richtung – auch ohne die meinen.
    »Wird schon werden«, meinte Bill. »Ich hab noch andere Ideen, was ich machen könnte.« Sein Grinsen kehrte zurück, und zum ersten Mal, seit er über sein Geschäft geredet hatte, beschäftigten sich auch seine Hände wieder. Ich wusste, dass er auf die Frage wartete, was das für Ideen seien. Also tat ich ihm den Gefallen. Er schlitzte zwei weitere Schachteln auf, ehe er aufblickte.
    »Bin noch nicht so weit, drüber zu sprechen«, sagte er schließlich. Nun, das hob meine Stimmung etwas. Es war typisch Bill Clark, mir wie einem Pferd ein Stück Zucker vor die Nase zu halten und mich damit zu locken. Er wollte, dass ich ihn bedrängte, mir seine Pläne zu verraten, aber ich spielte nicht mit.
    »Bill, du bist auf der Welt, um andere zu quälen. Ich kenn keinen, der so gern eine halbe Geschichte erzählt und dann darauf wartet, dass den Leuten das Wasser im Mund zusammenläuft.«
    »Ich wart eher drauf, dass du mir mit diesen Schachteln hilfst.« Er wies mit dem Kopf auf einen großen Stapel an der Wand, der drei Kisten hoch war.
    Ich schüttelte belustigt den Kopf und ging hinter dem Tisch vorbei, auf dem er seine Bestände sortierte. Er zeigte auf einige mittelgroße Kartons, die an einem Ende des Stapels standen, und wir gingen in die Knie, um einen davon hochzuheben. Meine Knie knackten wie tote Zweige.
    »Wie geht’s Tess?«, fragte er, während sich sein Hemd über seinem Rücken spannte.
    »Ich glaub besser.«
    »Muss sie hart getroffen haben. Merilyn hat erzählt, dass sie die Albträume immer noch nicht ganz los ist.«
    »Wenigstens besser sind sie geworden.« Wir stellten unsere Last ab und holten dann eine weitere Kiste.
    »Ich weiß noch, dass Merilyn den Mädchen immer die Ohren gerieben hat, wenn die schlecht geträumt haben. Sie schwört darauf.«
    »Leta hat’s schon probiert. Hat ihr auch warme Milch gegeben. Irgendwas muss geholfen haben, ich hab sie in letzter Zeit nicht mehr schreien oder stöhnen gehört.«
    Bill hatte stets ein Notizbuch in seiner Hemdtasche, gemeinsam mit einem blauen Füllfederhalter, der ziemlich oft auslief. Es passierte nicht selten, dass man ihn mit einem schneeweißen Hemd sah, das so glatt gebügelt war wie ein Blatt Papier, und sich ein blauer Tintenfleck über seine Brust ausbreitete. Auch jetzt konnte ich bereits einen blauen Fleck erkennen. Nachdem jeder von uns drei Schachteln hochgehoben und zu dem

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