Wenn Die Nacht Anbricht
Frau. »Nicht mehr. Wie sollte er das können?«
Tante Merilyn machte Psst, psst und fuhr fort, der Frau die Haare aus dem Gesicht zu streichen und ihr auf den Rücken zu klopfen. Die Fremde beruhigte sich ein wenig und sagte nichts mehr. Tante Merilyn schickte mich und Emmaline wieder zu unseren Plätzen zurück. Ich hatte offenbar einen Menschen gefunden, der mit mir darin übereinstimmte, dass es, falls es Feen im Wald gab, auch etwas Schreckliches geben musste, das sie fraß.
Albert
»Hast du von den Terriern gehört?«, fragte ich Bill Clark.
In der Zeitung war am Morgen eine Geschichte über zwei Rattenterrier zu lesen gewesen, die zusammen insgesamt zweiundsiebzig Ratten getötet hatten sowie einige Feldmäuse, die zu zählen der Farmer sich nicht die Mühe gemacht hatte. Das war eine Rattenhorde.
»Was meinst du, was man wohl macht, wenn man zweiundsiebzig tote Ratten auf einem Haufen liegen hat?«, fragte er und grinste mich an.
Bill war ein großer Mann, einen Kopf größer als ich, doch sobald er grinste, vergaß man seine Größe. Dieses Grinsen hatte einerseits etwas Freches wie bei einem Schulschwänzer und andererseits etwas fast Hinterhältiges wie bei einem Lausbuben, der zwei Katzen die Schwänze zusammenbindet. Ich glaubte, dieses Lachen sei ein Grund dafür, warum seine Geschäfte so gut liefen. Er hatte einen Kolonialwarenladen und einen Möbelladen. Seine Ware war gut, seine Preise angemessen, und er war ein ehrlicher Mann. Aber vor allem mochten ihn alle. Wenn die Stapel von Zeitschriften und die Kuchen einen nicht dazu brachten, begeistert mit den Fingern zu schnipsen, dann würde das bestimmt ein dröhnendes »Wie geht’s?« von Bill tun.
»Man wartet auf die Katzen«, erwiderte ich.
Er lachte tief und gemächlich. Er war keiner von denen, die sich beeilten, wenn es um das Vergnügen ging. Einige Schachteln, die vor ihm standen, waren noch nicht geöffnet, und er hielt ein Taschenmesser in der Hand. »Gut, dich zu sehen, Albert. Schon über eine Woche her, als du das letzte Mal hier warst.«
Wir befanden uns im hinteren Teil des Geschäfts, während meine Kinder im vorderen wie die Wilden herumjagten. Sie wurden es nie müde, hierherzukommen. Die Mädchen küssten ihren Onkel auf die Wange und machten sich dann sogleich daran, nachzusehen, was auf den Regalen stand. An der linken Wand gab es Schuhe und daneben große Stoffballen. Weiter hinten reihten sich auf Brettern, die so lang wie zwei Männer waren, Töpfe mit Keksen aneinander. Sie waren entweder mit Schokolade überzogen oder hatten eine gelbe, rote oder grüne Glasur mit Kokosflocken, Hagelzucker oder Puderzucker. Dort entdeckte ich immer Virgie, während Tess neben dem Fass mit Bonbons stand und aussah, als wollte sie am liebsten hineinspringen. Jack hingegen betrachtete meist eingehend die Messer.
»Leta trifft Merilyn jetzt oft tagsüber, bevor ich zurück bin«, erklärte ich meinem Schwager. »Deshalb hab ich es für das Beste gehalten, mal selbst herzukommen, um zu sehen, wie’s so geht.«
»Ist Leta auch dabei?«
»Nein. Sie ist zu Hause.«
Er hatte ein kleines Klavier für seine Töchter, und obwohl ich für solche Dinge eigentlich kein Auge besaß, wusste ich, dass Merilyns Kleider modischer als die von Leta waren. Leta verlor nie ein Wort darüber. Ich hätte mir niemals ein Klavier leisten können, aber meine Mädchen waren zum Glück auch nicht allzu musikalisch, weshalb ich mich nicht darüber grämte. Seine Familie besaß einiges, aber er war nicht überheblich. Gütiger Himmel, Walter von der Bank hatte ein Haus gebaut, das in Jasper zwanzigtausend Dollar gekostet hatte. Für diese Summe hätte er lieber mit Gott dem Allmächtigen einen Vertrag geschlossen und die Straßen mit Gold gepflastert, damit er auf jeden Fall durch die Himmelspforte kommt, wenn es einmal so weit war.
»Sieht so aus, als wärst du gut im Geschäft.«
Bill hielt inne. Er hatte mir den Rücken zugewandt und ließ nach einer Weile den Kopf hängen. Ich hörte, wie er tief durchatmete. »Wenn’s so weitergeht, schaff ich das kein Jahr mehr. Dann muss ich schließen.«
Ich wäre weniger schockiert gewesen, wenn er mir erklärt hätte, dass er sich nachts in ein Opossum verwandelte und mit dem Kopf nach unten an einem Baum hing. »Das kann nicht sein. Es vergehen doch keine zehn Minuten, ohne dass jemand reinkommt und deine Kasse klingelt.«
Er strich sich mit seiner großen Hand über den Kopf. »Es zahlt aber keiner
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