Wenn Die Nacht Anbricht
runden Stücke zu machen. Ich drehte die Holzform auf den Kopf und zog den Stempel ganz nach oben, damit Naomi mit einem Holzlöffel die Butterklümpchen hineingeben konnte. Sie tat einen Löffel nach dem anderen in die Form und kratzte den Löffel am Rand der Form ab, als diese voll war. Dann stellte ich sie auf einen Teller und drückte den Stempel nach unten, woraufhin sich die Butter mit einem befriedigenden Sauggeräusch löste. Sie sah so kühl und lecker aus – wie Vanillepudding oder ein Kuchen ohne Rand. Ich hatte wie fast alle Kinder ein Stück davon stibitzt, sobald ich groß genug war, auf den Tisch langen zu können. Einmal kam ich in die Küche, als Tess noch klein war. Mitten auf dem Tisch stand die Butter so hübsch wie immer, nur dass diesmal drei kleine Löcher an den Stellen waren, wo ein Stück aus ihr herausgebissen worden war. Tess war die Einzige, die ich kannte, die nach dem ersten Bissen weiteraß.
»Du solltest am Sonntag mit mir in die Kirche kommen«, sagte Naomi, als sie die Form übernahm und ich mit dem Löffeln begann. »Der Prediger wird dir gefallen.«
»In welche denn?«, fragte ich. Onkel Bill war Baptist und Tante Merilyn Methodistin. Beide Gemeinden trafen sich nur an zwei Sonntagen im Monat, deshalb gingen sie abwechselnd mal dahin und mal dorthin. Allerdings bedeutete das auch, dass Tante Merilyn für die Kranken beider Gemeinden Aufläufe und Kuchen machen musste.
»Diesmal sind die Methodisten dran«, erwiderte Naomi. »Aber der Prediger ist noch jung und kommt direkt vom Birmingham-Southern College.«
Das war das Methodisten-College. »Er gefällt dir also?«, fragte ich.
»Er ist Prediger, Virgie. Natürlich gefällt er mir. Muss er ja.«
Ich war mir recht sicher, noch etwas anderes aus ihrem Tonfall herausgehört zu haben. Außerdem sah sie mir nicht direkt in die Augen, was für Naomi ziemlich ungewöhnlich war. Ich witterte die Chance, zur Abwechslung einmal sie ein wenig necken zu können, was wiederum für mich ziemlich ungewöhnlich war.
»Aber gefällt er dir auch mehr als nur als Prediger?« Ehe sie antworten konnte, fügte ich rasch hinzu: »Zum Beispiel, um mit ihm zu tanzen?«
Sie und ihre jüngere Schwester durften tanzen, denn die Methodisten und die Baptisten wussten nicht, dass das verboten war. Ich hatte noch nie ein großes Verlangen verspürt, ebenfalls zu einem Tanz zu gehen, da die kleinen Kinder zur Turnhalle liefen, wo der Tanz stattfand, und ihre Nasen an der Scheibe platt pressten, um dann den anderen erzählen zu können, wer mit wem getanzt hatte und wie nahe die Paare beieinander gestanden und wie sie ihre Hände gehalten hatten. Nein, danke – ich hatte wahrlich keine Lust, tanzen zu lernen.
»Er ist gute fünf Jahre älter als ich«, erklärte mir Naomi.
»Er ist zwanzig? Oder einundzwanzig? Das ist doch kein großer Altersunterschied.«
Sie schüttelte ihre Locken, und ich befürchtete, dass einige Haare in der Butter landen könnten. Mama verlangte immer von uns, dass wir uns abbürsteten und unsere Haare zusammenbanden, ehe wir auch nur einen Fuß in die Küche setzten. Tante Merilyn war das nicht so wichtig.
»Ich mein doch nur, dass du seine Predigten hören solltest. Er bringt dich garantiert zum Lachen, und die Zeit verfliegt im Nu.« Sie drückte eine perfekt geformte Scheibe heraus und bewunderte sie einen Moment lang. »Man denkt ja immer, dass ein Prediger langweilig ist, aber …« Sie hielt inne.
»Du träumst also davon, ihn zu heiraten«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. Ihre Reaktion darauf verblüffte mich noch mehr.
Sie antwortete nicht sofort. »Wahrscheinlich denkt er an mich als kleine Schwester oder so. Sicher nicht als die Sorte Frau, die er heiraten würde.« Sie klang betrübt.
»Du wirst mit dem Prediger tanzen, mit dem Prediger ausgehen und den Prediger heiraten«, erwiderte ich in einem ausgelassenen Singsang, in alberner Laune von dem Butterformen und unseren Gesprächen.
»Werd ich nicht«, entgegnete Naomi und konzentrierte sich angestrengt darauf, ein weiteres Butterstück auszustanzen.
»Willst du schon heiraten?«
Sie war im ersten Jahr der Oberschule und hasste Strümpfe noch mehr als ich. Irgendwie glaubte ich immer, dass man sich erst einmal mit den Strümpfen anfreunden sollte, ehe man sich einem Mann für den Rest des Lebens versprach.
»Nein, natürlich noch nicht. Aber irgendwann schon.« Sie wedelte mit der Butterform in meine Richtung. »Mehr Butter, wenn ich bitten
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