Wenn Die Nacht Beginnt
Stühlen saßen. Die Lichtung wurde von einem Dreiviertelmond erleuchtet, und alles Grün und Gold hatte sich in Silber und Grau verwandelt.
»Schaut euch nur an, wie ihr dasitzt, ihr beiden«, meinte sie verdrießlich. »Wie Großmama und Großpapa Gott.«
Aisa sagte: »Er ist eine gute Investition. Schauen Sie, wie zuverlässig er über all die Jahre für diese Frau das Geschäft geführt hat.«
»Ich rede nicht von Ihrem Geld. Ich rede von seinem Vergehen.«
Mrs. Risk lächelte mit geschlossenen Augen. »Die Gerechtigkeit ist wankelmütig. Selten geht sie dahin, wohin sie sollte. Ein kleiner Stupser hier und dort schadet nicht. Harry ist ein gutherziger Mann und musste nur ein wenig zurechtgebogen werden, das ist alles. Sein Gewissen hätte ihn zerrissen und den Rest seines Lebens belastet.« Sie öffnete die Augen und schaute Rachel an. »Geben Sie es zu. Sie sind genauso glücklich über diese ganze Sache wie wir.«
»Hm. Vielleicht. Na ja, mir scheint, echte Gerechtigkeit wäre es erst, wenn Tante Marguerite ihr Verhalten ihm gegenüber irgendwie zurückgezahlt würde.«
»Seien Sie nicht maßlos, meine Liebe. Vergessen Sie nicht die Hilfe, die sie ihm anbot, als er sie dringend brauchte.« Mrs. Risk schloss wieder die Augen, aber nicht bevor Rachel einen gewissen Glanz darin entdecken konnte.
Während Rachel das Geschirr spülte, konnte man sie pfeifen hören. Am nächsten Tag fragte sie Aisa, was er damit meinte, als er sagte, Harry sei eine gute Investition.
Bald nach Harrys und Christas Hochzeit im Juni, die auf Mrs. Risks Lichtung stattfand, rief Rachel Mrs. Risk an: »Erinnern Sie sich, wie Sie sagten, die Gerechtigkeit sei wankelmütig? Ich habe gerade gehört, dass Tante Marguerite die Versicherung nie von dem Wiederauftauchen der Marken und dem Tausch mit den Münzen verständigte, das ist doch die Höhe!«
»Oh, meine Güte«, sagte Mrs. Risk. »Betrügen ist solch eine schlechte Angewohnheit.«
»Und sie wäre auch damit durchgekommen, wenn nicht irgendjemand anonym dem Schadensregulierer der Versicherung einen Tipp gegeben hätte. Es geht das Gerücht, dass sie wegen Betrugs angeklagt wird!« Rachel jauchzte vor Lachen. »Glauben Sie, dass es wahr ist?«
»Verlassen Sie sich auf mich, meine Liebe. Es ist wahr.«
NOREEN AYRES Gefälligkeiten
Minnie Chaundelle war eine schöne, stattliche Frau mit welligem Haar, das wie flüssiges Kupfer eng an ihrem Kopf anlag. Die Farbe stammte von ihrem Freund, einem Friseur, und der in Gold gefasste Vorderzahn war eine Gefälligkeit des Zahnarztes in der Nachbarschaft. Der Zahnarzt berechnete Minnie nie etwas, und Minnie berechnete ihm nie etwas, also war es ein nettes Arrangement, das Minnie ihr gesundes Lächeln erhielt.
Ich lernte Minnie Chaundelle Bazile durch einen Telefonanruf kennen. Sie wollte ihren Bruder suchen lassen.
Ich bitte meine Klienten beim ersten Mal immer um ein persönliches Gespräch. Sie meinte, sie würde nicht durch die ganze Stadt fahren, egal, wie nett ich auch wäre. »Wie kommen Sie darauf, dass ich nett bin?«, fragte ich.
»So etwas spricht sich rum«, erwiderte sie.
Gross Street, außerhalb von Dallas. Es gibt dort eine Besserungsanstalt für Knaben und eine Schule für die Zurückgebliebenen. Auf der anderen Seite ist ein Friedhof. Dort kommt keiner mehr hin, nicht mal tot. Wenn ich in die rechte Straße hinter dem Friedhof einbiegen würde, könnte ich sie auf ihrer Veranda sitzen sehen. Wenn ich die falsche nehme, dann sehe ich sie nicht.
Es war der erste Tag nach einem starken Regen, und die Sonne brannte bereits heiß herunter. Als ich den Schlüssel in der Tür umdrehte, um abzuschließen, saßen Moskitos breitbeinig auf der Seitenwand meines Hauses, auch sie überwältigt von der Hitze.
Ich lebe in Neartown, etwa eine Meile vom Stadtzentrum von Houston entfernt. Gangster und Politiker aus alten Zeiten nennen diese Gegend den Vierten Bezirk. Trotz einiger weniger ›fauler Eier‹ gefällt es mir hier. Von meinem Büro im ersten Stock aus sehe ich Bäume, so grün wie Broccoli, und Wolkenkratzer in den Farben Türkis, Rost, Kreide und Silber vor einem klaren blauen Himmel. Nachts beobachte ich, wie der Mond zwischen den Türmen spielt, und wenn es regnet, werden ihre Kanten weich in der feuchten Luft.
Und von meiner Veranda aus kann ich alte Männer, so schwarz wie Dachpappe, beobachten, wie sie mit den Händen in den Hosentaschen die Straße überqueren, um miteinander zu reden, oder ein Kind auf einem
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