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Wenn Die Nacht Beginnt

Wenn Die Nacht Beginnt

Titel: Wenn Die Nacht Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
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lange hinschauen, um zu begreifen, dass ich für immer verschwinden würde, wenn ich mich dort mitten hinein begäbe. Jeffrey hatte gesagt, da draußen gebe es achthundert Hektar unberührter Wildnis. Ich konnte jede Hoffnung aufgeben, zufällig auf ein Haus oder ein Auto zu treffen. Ganz zu schweigen davon, dass ich schon am hellen Tag auf vertrautem Terrain keinen Orientierungssinn hatte – nachts in fremden Wäldern würde ich sicherlich ziellos im Kreis laufen, bis ich erfrieren oder vor Erschöpfung zusammenbrechen würde. Es gab nur eine Möglichkeit: ich musste mich, so gut ich konnte, um die Biegung des Sees herumarbeiten in Richtung der Straße, die irgendwo östlich von Jeffreys Hütte verlief. Aber was wäre, wenn ich über die Straße hinausgeraten und in die Nachbarschaft der Hütte stolpern würde, in die Gegend von Jeffrey? Und selbst wenn ich die Straße fände, ohne Jeffrey über den Weg zu laufen, was dann? Wo waren wir von dem Feldweg mit den Wagenspuren abgebogen? In welcher Richtung lag die Stadt? Fast hätte ich laut aufgelacht. Als ob ich die Kraft hätte, es allein und zu Fuß bis in die Stadt zu schaffen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich zitternd vor Kälte dasaß, bevor ich sah, wie das Licht anging.
    Es war diesmal nicht meine Vernunft, die mich auf die Füße brachte und mich durch das Schilf am Rande des Sees trieb, aber ich war noch nicht weit, als die alten Gehirnzellen in Gang kamen. Peter Blake war hier, natürlich war er hier. Er musste nicht bis nach Hempstead fahren, um herauszufinden, ob seine Mutter krank war. Peter Blake musste lediglich die etwa fünfzehn Kilometer nach Fairnham fahren und ein Telefongespräch führen. Wenn er die Täuschung herausfand, dann wüsste er, was los war. Er würde zurückkommen, weil er meinen Rücken gesehen hatte und meine Furcht und weil er Jeffrey kannte. Und jetzt war Peter Blake hier, in seiner Hütte, und sobald ich ihn erreicht hatte, wäre ich so gut wie zu Hause.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dazu brauchte, mir meinen Weg um diesen See herum zu kämpfen. Der Wollpullover blieb an jedem Zweig hängen, die Dornen zerkratzten mein Gesicht, und ich schürfte mir die Hände auf, während ich mich durch das Sumpfgras schleppte. Meine dicken Jeans schützten meine Beine gegen den Dschungel, aber die Hose war nass und kalt und schwer. Jeffreys große Gummistiefel lagen irgendwo am Grunde des Sees, und ich hatte noch nicht einmal die halbe Strecke zurückgelegt, als meine Socken in Fetzen hingen, aber ich lief weiter. Als ich auf den glatten Sandboden traf, hätte ich fast vor Erleichterung geweint, und als ich Peters erste Treppenstufe betrat, wusste ich, dass ich tatsächlich zu weinen anfing, aber es war mir egal. Hier gab es keinen Grund für falschen Stolz.
    Oder Furcht.
    Tränen brannten auf meinen zerkratzten Wangen, als ich die Hüttentür aufstieß und in den Schein der Laterne trat.
    Und Jeffrey gegenüberstand.
    Er war nass, tropfnass, aber er hatte Peter Blakes Ofen angefacht, seine Laterne angezündet und es sich in seinem Sessel gemütlich gemacht, und er streckte seine bestrumpften Füße zum Feuer hin. Er sah so entspannt aus wie eine Spinne, die auf ihre Fliege wartet.
    »Hallo, Hannah«, begrüßte er mich. »Du siehst überrascht aus. Warum? Ich bin nicht überrascht. Obwohl ich sagen muss, du hast so lange gebraucht, dass ich dachte, du bist vielleicht wirklich schon tot. Aber ich wusste, wenn du noch lebst, würdest du zu ihm rennen – ich hab ja gesehen, wie ihr euch heute am Strand angestarrt habt. Oder vielleicht sollte ich fairerweise sagen, wie ihr versucht habt, euch nicht anzustarren. Im Ganzen war es ein äußerst jämmerliches Schauspiel.« Jeffrey schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Na, na, Hannah, wein doch nicht. Du kannst nicht sagen, ich wäre nicht fair gewesen. Ich sagte dir doch, dass er nicht hier ist, stimmt's? Komm her, komm ins Licht. Du siehst schlimm aus. Was ist mit dir passiert?«
    Er packte mich am Arm und zog mich zu sich. Ich hätte mich nicht bewegen können, auch wenn ich es versucht hätte. Ich war völlig erschöpft. Ich hätte es wissen sollen. Hatte ich denn nichts gelernt? Ich rannte zu Peter Blake, damit er mich rettet, aber es gab niemanden, der mich retten konnte. Es gab nur Jeffrey und mich. Als Jeffrey mich zur Lampe herumdrehte, muss er gespürt haben, wie wenig in mir übrig geblieben war. Er lachte leise und schubste mich rückwärts. Ich versuchte, mich mit einer Hand

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