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Wenn Die Nacht Beginnt

Wenn Die Nacht Beginnt

Titel: Wenn Die Nacht Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
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schlingt die Zügel um einen Pfosten und geht in das Gebäude, um den Sattel zu holen.
    »Komm«, sagt er, während er Decke und Sattel über Bucks breiten Rücken wirft. »Heute fangen wir mit einem Ritt an.« Er brummt und bückt sich, um den Sattelgurt zu befestigen. Buck brummt ebenfalls. Bohannon steckt seinen Stiefel in den Steigbügel und schwingt sich schwerfällig hinauf. »Mit einem schönen, langen Ritt.« Er stupst Bucks stattliche Seiten mit seinen Fersen, und sie bewegen sich hinaus auf den Kieselboden und unter die blätterraschelnden Bäume. »Verflixt, vielleicht reiten wir einfach weiter.« Buck strebt zu dem Tor mit dem hölzernen Bogen darüber, der einen einzelnen Namen aus gesägten Holzlettern trägt: B OHANNON . »Vielleicht kommen wir nie zurück.« Er beugt sich vom Sattel herunter, um den linken Torflügel aufzumachen, und als sie draußen sind, bückt er sich wieder und zieht ihn zu. Gewohnheit. Heute Morgen hätte er nichts dagegen, wenn jemand käme und die ganze Ranch stehlen würde, mitsamt den Pferden. Er würde ihm damit einen Gefallen tun. Auf der pockennarbigen Teerstraße lenkt er Buck nach links, den Canyon hinauf.
    Er kann sich schon nicht mehr daran erinnern, wie viele Stallburschen er verloren hat, seit Rivera als Erster ging. Bei ihm hatte er es ohnehin erwartet: Rivera war in der Ausbildung zum Priester gewesen. Danach war George Stubbs, der bereits betagte Rodeo-Veteran, gekommen, den seine Arthritis schließlich ins Pflegeheim gebracht hatte. Es waren Säufer und fernwehgeplagte Männer gefolgt, faule Jungs, die noch nicht trocken hinter den Ohren waren, und sogar ein junges Mädchen, das schwer arbeitete, aber dann wegging, um zu heiraten. Als Bohannon Kelly einstellte, schwor er sich, der würde der letzte sein. Wenn auch Kelly ihn im Stich lassen würde, dann wäre das ein Zeichen, aufzugeben und die Ranch an einen Makler zu verkaufen, so wie es anscheinend alle anderen im Canyon taten. Es war nur noch Arbeit und machte keinen Spaß mehr. Warum sollte er das Elend noch weiter verlängern?
    Inzwischen reitet er nicht mehr auf dem Hauptweg, sondern ein paar Meilen den Canyon hinauf. Buck nimmt die Umgebung aufmerksamer wahr als er selbst, und dann scheut er. Das ist die Art Aufbäumen, das höchstens einen frisch gebackenen Reiter aus dem Sattel wirft. Buck ist schließlich kein Fohlen mehr, er hat schon fünfzehn Jahre auf dem Buckel, wenn nicht mehr, und er ist schwer, deshalb gelingt es ihm nicht, Bohannon abzuwerfen. Eine Sekunde lang muss der Mann kämpfen, um sich aufrecht zu halten. Mit seinen zähen zwei- oder dreiundfünfzig Jahren sind seine Reflexe auch nicht mehr ganz das, was sie einmal waren.
    »Brr, was ist los?«
    Und schon sieht er, was los ist. Ein Mann liegt mit dem Gesicht nach unten halb auf der Straße und halb über der Böschung. »Ruhig.« Bohannon zügelt Buck, und sie überqueren die Fahrbahn, wo Bohannon sich aus dem Sattel schwingt und die Zügel an einen Baum bindet. Ein paar Mal streichelt er beruhigend über Bucks bebende Flanke und geht dann zu dem Mann. Er kniet sich nieder und berührt ihn, legt ein paar Finger leicht unter dem Ohr auf den Hals des Mannes. Aber es ist nicht nötig, nach einem Puls zu suchen: der Mann ist kalt. Er ist schon stundenlang tot.
    Lange Zeit war Bohannon Hilfssheriff gewesen. Er weiß, was er in solch einer Situation zu tun hat. Aus der Hocke schaut er sich um und lässt den Blick über die weitere Umgebung schweifen – den Canyon, die Bäume, die Felsen, das ausgetrocknete Flussbett darunter, dann über den Hang, der zu seiner Rechten ansteigt. Als nächstes untersucht er die unmittelbare Umgebung der Leiche: Blutspritzer, danach das, was sich in der Nähe seiner Stiefelsohlen befindet: getrocknetes Laub – sichelförmige Eukalyptusblätter, gewellte Eichenblätter, Kiefernnadeln – dazu Kieselsteine, keine Kugel, keine Patronenhülse. Nichts klebt an den Schuhsohlen des Mannes.
    Der Mann ist gut angezogen, nicht für eine ländliche Gegend wie diese, sondern für die Stadt: dunkler Anzug, Krawatte. Das Hemd ist weiß – da, wo es nicht mit Blut befleckt ist. Dieser Mann wurde von vorn erschossen. Bohannon erkennt eine Austrittswunde, wenn er eine sieht, und er sieht eine: genau zwischen den Schulterblättern; nicht viel Blut; der Mann war schnell gestorben.
    Er berührt die Leiche nicht mehr, auch die Kleider nicht. Es war einmal sein Job, ist es aber nicht mehr. Er steht auf, klopft sich Splitt und

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