Wenn Die Nacht Beginnt
Weise möglich, sogar wahrscheinlich zu sein.
»Bleiben Sie hier«, befahl er ihr. »Ich gehe in die Tunnels hinunter, um ihn zu finden.«
Er ließ Amelia allein am Stadtrand stehen. Sie schwitzte in dem warmen Präriewind, der den Staub von einem Ende der Stadt zum anderen blies. Sie wartete über eine halbe Stunde lang, hustete ab und zu und dachte: Na ja, ein Gutes hat es ja, dass Dan hier aufgetaucht ist – er weiß wenigstens, wie man in die Tunnels hinein- und wieder herauskommt. Aber als eine Dreiviertelstunde vorüber war, fing sie an, sich um ihn Sorgen zu machen, und sie fürchtete, dass sie hinuntergehen müsste, um nach ihm zu suchen.
Aber sie wartete noch, erhitzt, erschöpft und voller Angst.
Was ist, wenn etwas heruntergefallen ist und ihn verletzt hat?, dachte sie.
Aber er tauchte aus einer verfallenen Ladenfront auf – einer anderen als der, bei der er in die Tunnel hineingegangen war – und kam auf sie zu. Wenigstens dieses Mal zeigte Dan Hale ein volles Lächeln.
»Er ist tatsächlich da unten«, verriet er ihr.
»Wirklich?«
»Gehen Sie hinunter und machen Sie mit ihm ein Interview, Amelia. Er wartet auf Sie. Machen Sie sich keine Sorgen, er ist harmlos. Sie haben von Tom Rogers nichts zu befürchten.«
Als sie zögerte, packte er sie am Ellbogen und zog sie mit sich, während er beruhigend auf sie einredete: »Keine Angst, ich bin gleich hinter Ihnen.«
»Aber die Dunkelheit …«
»Es ist nicht dunkel. Er hat da unten einen alten Generator laufen, also gibt es sogar elektrisches Licht.«
Amelia dachte, wenn Dan noch einmal ›keine Angst‹ zu ihr sagen würde, würde sie ihn schlagen. Zögerlich und missmutig ließ sie sich in eines der alten Gebäude führen, durch eine Tür im Fußboden und eine Holzleiter hinunter in eine kühle, irdene Kammer. Er hatte die Wahrheit gesagt, es gab eine Beleuchtung, auch wenn sie schwach war.
Amelia entspannte sich ein wenig.
Wenn es Licht gab, dachte sie, konnte sie alles ertragen.
»Mr. Hale?«, fragte sie leise. »Wie sind Sie überhaupt von Spale weggekommen?«
Er antwortete hinter ihr mit normaler Stimme, als ob es ihm gleichgültig sei, ob Thomas Rogers ihn hören konnte. »Ich bekam Brendas Stipendium. Sie konnten es ja nicht gut Tom geben.« Sein leichtes Lachen spürte sie als Hauch in ihrem Nacken. »Ich habe nie zurückgeschaut.«
Sie kamen an eine offene Tür mit einem Schild daneben, das man immer noch lesen konnte: Barbier.
»Gehen Sie weiter«, drängte er sie. »Tom sitzt im letzten Stuhl. Er wird Ihnen die ganze Geschichte erzählen.« Hale stieß etwas Warmes in ihre Hände: eine handliche, schwarze Pistole. »Hier, wenn Sie sich damit sicherer fühlen.«
Amelia betrat den Friseurladen.
Amelia erkannte den toten Mann im Stuhl, da sie ein aktuelles Foto von ihm in der örtlichen Zeitung gesehen hatte: Thomas Rogers.
Von der Tragödie dieses Menschen überwältigt, hatte sie sich umgedreht und erkannte auch das Gesicht des Mannes in der Tür: es war Dan Hale. Er riss die Kette von der Lampe ab, schob den Riegel vor die Tür und ließ sie in völliger Dunkelheit mit einer Leiche zurück. Bevor das Licht ausging, sah sie noch, dass auf Tom Rogers mehrmals geschossen worden war. Während Amelia sich die Seele aus dem Leib schrie, glitt die warme Pistole aus ihrer Hand und fiel auf den Fußboden.
Die Dunkelheit schien endgültig zu sein.
Sie wusste, sie würde den Verstand verlieren, bevor sie sterben würde.
In Amelias Gehirn dröhnten diese beiden Gedanken immer und immer wieder wie eine Schallplatte mit einem Sprung. Es erschien ihr tatsächlich wie eine Ewigkeit, bis sich schließlich ein anderer Gedanke an der Panik vorbeidrängen konnte: Dan war in einen Laden hineingegangen und zu einem anderen herausgekommen.
Zwei Tunnelausgänge. Mindestens zwei, vielleicht auch mehr.
In dem Albtraum, zu dem ihr Leben geworden war, fand Amelia die schmierigen Wände und tastete sich an der Wand entlang durch ihre Grabkammer. Es gab keinen anderen Ausgang. Tastend konnte sie einen der anderen alten Friseurstühle ausmachen und ließ sich hineinsinken. Sie dachte an die endlose Zeit, die vor ihr lag. Schließlich fiel ihr die Pistole ein, und ihr wurde klar, dass sie sich jetzt selbst erschießen und ihr Leiden abkürzen konnte. Hastig tastete sie auf dem Fußboden wieder umher, bis sie Metall an ihren Fingern spürte.
Das Ende des Pistolenlaufs lag an ihrem rechten Ohr, als sie sich anders besann.
Langsam ließ Amelia die
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