Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Die Nacht Beginnt

Wenn Die Nacht Beginnt

Titel: Wenn Die Nacht Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
an, wo Thomas Rogers einsaß, um herauszufinden, wann genau er in Spale eintreffen würde.
    »Er müsste inzwischen dort sein«, war die knappe Antwort.
    Sie versuchte, den Vollzugsbeamten am Telefon zu halten, indem sie fragte: »Wie war er denn als Häftling?«
    »Vorbildlich«, hieß es, gefolgt von einer Lobeshymne, die Rogers mehr als den Musterschüler, der er einmal gewesen war, darstellte, statt als den Mörder, der er inzwischen war. »Ausgezeichnete Führung. Vorzeitige Entlassung. Er erwarb drei College-Abschlüsse: B.A.M.E.A. und Ph. D. Er entwarf ein Bildungsprogramm für Sträflinge, gab im Gefängnis Unterricht in Lesen und Mathematik und hielt einen Kurs in Creative Writing. Außerdem rief er eine Meditationsgruppe ins Leben. Möchten Sie noch etwas wissen?« Amelia verneinte, aber sie dachte bei sich: Ja, und wo ist der höchste Pfadfinderorden?
    In einer zynischen Laune wie ein alter, weltmüder Journalist, stieg sie wieder in ihren Leihwagen und fuhr nach Spale, und den ganzen Weg über wurde sie von einer Art gerechtem Zorn auf den Mann, den sie interviewen wollte, angetrieben.
    »Wagen Sie es ja nicht, mir irgendetwas von Bekehrung und Wiedergeburt zu erzählen«, wütete sie laut, als ob sie mit Thomas Rogers spräche. »Ich habe die Tochter kennen gelernt, die Sie so furchtbar verraten haben!«
    Amelia hatte nicht daran gedacht, dass auch viele andere Journalisten die Rückkehr eines Mörders in eine Geisterstadt als lohnende Story ansehen könnten. Als Spale in Sicht kam, sah sie, dass es ein ›Medienzirkus‹ war – ein Klischee, das zu vermeiden sie angehalten war.
    Wie sich herausstellte, fehlte zwischen den Fernsehbussen und anderen Leihwagen nur einer: Thomas Rogers, der ehemalige Sträfling selbst.
    »Er ist angekommen«, sagte ihr ein Redakteur von Newsweek, »so viel wissen wir, weil wir sahen, wie er bei diesem Gebäude abgesetzt wurde.« Er zeigte auf eine zerfallene Ladenfront an der früheren Hauptstraße. »Aber er muss sich zum Hinterausgang hinausgeschlichen haben. Vielleicht wartete auch ein anderer Wagen auf ihn, ich weiß es nicht. Wir waren da drin, aber dort ist niemand. Wir packen zusammen und fahren heim. Er wird irgendwo wieder auftauchen. Aber wen interessiert das heute noch? Jetzt ist es keine Geschichte mehr. Mörder auf den Straßen der Großstädte gibt es wie Sand am Meer, aber einer von ihnen, der allein in seiner eigenen Stadt voller Geister lebt? Das wäre gut geworden, verflixt. Haben Sie hier in der Gegend schon irgendein anständiges Lokal zum Essen gefunden?«
    Sie sagte ihm nichts von der Serengeti Lodge.
    Und sie sagte ihm auch nicht, wo sich Thomas Rogers wahrscheinlich aufhielt, obwohl Amelia sich ziemlich sicher war: Er war bestimmt in den alten, vergessenen Tunnel unter der Stadt, wo er die Leiche seiner jungen Frau hingebracht hatte und wo er jetzt einen perfekten Ort hatte, an dem er sich für den Rest seines Lebens verstecken konnte, wenn es das war, was er wollte.
    Amelia war, mit Bedauern, bereit, ihm zu lassen, was er wollte, denn um nichts in der Welt würde sie in die Dunkelheit der unterirdischen Gänge gehen, um dort nach einem Mann zu suchen, der bereits eine Frau getötet hatte.
    Bestimmt nicht.
    »Nein«, sagte sie zu ihrem Chef, wieder am Münztelefon im Serengeti-Büro. »Es tut mir Leid, Mister Hale, aber das tu ich nicht. Es wäre dumm und gefährlich, wenn ich allein da hinunterginge.«
    Sie war überrascht, wie ruhig sie war, als sie das sagte – fast so, als ob sie erleichtert sei, wenn ihr gekündigt werden würde. Endlich würde sie vor sich selbst und vor der Welt zugeben können, dass sie einfach nicht zur Journalistin bestimmt war. Sie hatte keine Ahnung, was sie dann machen würde, sobald sie ihre Stelle und ihr Gehalt verloren hätte, aber jetzt wusste sie wenigstens, dass es nicht der Journalismus war.
    »Warum, zum Teufel, glauben Sie, dass ich so etwas Idiotisches von Ihnen verlangen würde?«, fragte Dan Hale zu ihrer Überraschung. »Ich bitte nur Kriegskorrespondenten, dumme Sachen zu machen, bei denen sie ums Leben kommen könnten. Um Gottes willen, diese Geschichte ist nicht so wichtig wie Bosnien, aber sie gefällt mir trotzdem, und deshalb werde ich folgendes tun …« Er würde einen Reporter mit mehr Erfahrung zu ihr schicken, erklärte er, den sie um zehn Uhr morgens in Spale treffen würde.
    Obwohl sie Thomas Rogers Tochter immer noch wirklich helfen wollte, spürte Amelia, wie sie sich wünschte, Dan Hale

Weitere Kostenlose Bücher