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Wenn Die Nacht Beginnt

Wenn Die Nacht Beginnt

Titel: Wenn Die Nacht Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
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war, und wie sie an der Ecke Angst bekam und umkehrte. Als sie sieben war, war sie nach Seattle aufgebrochen und war gerade mal bis zum Bahnhof gekommen. Jetzt verstand sie die Angst, die sie aufgehalten hatte; die Furcht vor dem, was sie am Ziel ihrer Reise finden würde, ließ es sicherer erscheinen, nichts zu wissen. Sie konnte weder auf sich selbst vertrauen noch auf die Familie, die Mutter, die sie suchte. Selbst jetzt, da sie alle Zeit hatte, die sie brauchte, um nach ihnen zu suchen, zögerte sie und kam hierher zurück, in eine Gemeinschaft von Frauen, bei denen sie sich geborgen fühlte, zu einem Mann, der sie vor Jahren in Kampfsport unterrichtet hatte, weil er nicht glaubte, dass sie mutig war. Es war immer noch so viel einfacher, mit Lat hierher zu kommen und sich vor dieser Mutter zu verstecken, dieser anderen Kultur, in die sie hineingeboren war.
    Wie Tori, musste Ngoc Thuy neugierig geworden sein auf diese andere Kultur, die ihr aus dem Spiegel entgegenschaute. Anders als Tori besaß sie den Mut ihrer Mutter – genug davon, um Miss McDivott loszulassen, ohne zu wissen, ob sie zurückkommen würde. Tori wusste nicht, ob sie so viel Mut hatte, ob sie, wenn die Zeit reif war, Lat Nhu würde loslassen können. Sie wusste nicht, ob sie den Mut aufbringen würde, mehr als einen schwachen Vorstoß in diese unbekannte Welt ihrer Mutter, und vielleicht ihrer Brüder und Schwestern, wenn es welche gäbe, zu wagen. Thanh irrte sich – sie hatte überhaupt nicht nach ihnen gesucht. Aber wenn dieses Kind dazu fähig war … vielleicht.
    Thanh zauste Ngoc Thuys Haar, und Vater und Tochter lachten. Toris Augen trafen einen Moment die von Thanh, dann sah sie Ngoc Thuy an und lächelte.

BRENDAN DUBOIS Geschwisterrivalität
    Ich saß auf dem Vordersitz meines geparkten und gestohlenen Wagens und schaute hinauf zu den Lichtern im dritten Stock des Wohnhauses, das mitten in einem heruntergekommenen Viertel eines dieser ausgedehnten Vororte von Boston stand. Es war eine lange Nacht gewesen, und meine Aufgabe war noch längst nicht abgeschlossen. Wie die Dinge standen, hatte ich erst die Hälfte davon erfüllt, und ich würde nicht zufrieden sein, bis ich die ganze Sache erledigt hätte. Während ich wartete, hörte ich Radio und horchte auf die nächtlichen Klänge von Talk-Shows, die sich über Beziehungen, Familien, Probleme verbreiteten. Ich hörte nur halb hin, da ich mich auf meine eigenen Probleme konzentrierte.
    Unter dem Sitz lag eine Smith & Wesson 9 mm, mit bereits montiertem Schalldämpfer und eingewickelt in den aktuellen Boston Herald . Das war das eine Problem, weil ich nicht sicher war, was ich tun würde, wenn ein Polizist vorbeikäme und mich kontrollierte. Zwar hatte ich eine gute Ausrede dafür, dass ich mich um ein Uhr morgens auf dieser verlassenen Straße befand, aber ich war sicher, es war nicht die Art von Erklärung, die ein Polizist gerne hören würde. Mein anderes Problem war der dritte Stock des Mietshauses. Eine Wohnzimmerlampe brannte hell, dazu auch eine Küchenlampe, was bedeutete, dass der Bewohner dieser Wohnung – ein Adam Cruishank – immer noch wach war. Ich hatte vor weniger als fünfzehn Minuten eine Bewegung gesehen, und ich wollte nicht, dass er noch viel länger wach bliebe.
    Ich seufzte und trommelte mit meinen Fingern auf das Lenkrad. Am Ende der Straße blitzten Scheinwerfer auf, und ich duckte mich in den Sitz, um mich zu verstecken. Das Innere meines Wagens wurde erhellt, als das andere Auto vorbeifuhr, und so sah ich die zerknüllten Kaffeebecher, Fast Food-Verpackungen und anderen Müll, den der rechtmäßige Besitzer angehäuft hatte. Wenn ich heute Nacht noch Zeit hätte, würde ich vielleicht alles sauber machen, bevor ich das Auto auf seinen Parkplatz im nächsten Ort zurückstellen würde, um meine Dankbarkeit zu zeigen. Wenn ich Zeit und Glück hätte.
    Glück. Ich richtete mich wieder im Sitz auf und sah zum Fenster hinaus – sowohl im Wohnzimmer als auch in der Küche war das Licht ausgegangen. Die einzig sichtbare Beleuchtung war dieser scheußliche blaue Schein eines Fernsehers, der nicht ausgeschaltet wurde. Ich atmete ein paar Mal tief durch, klopfte wieder aufs Lenkrad und hörte weiterhin Musik aus dem Radio. Als zur vollen Stunde die Nachrichten dran waren, war etwa eine halbe Stunde seit dem Löschen des Lichts da oben vergangen, und das reichte mir.
    Ich griff unter den Sitz, holte die Zeitung mit der Pistole hervor und stieg aus. Die

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