Wenn die Nacht dich kuesst...
meine letzte Chance zu beweisen, dass er schlicht ein Mann ist — ein einfacher Sterblicher wie wir alle.« Die drückende Enge in ihrer Brust ignorierend, fügte sie hinzu: »Wenn ich das tun kann, dann werde ich ihm und Vivienne meinen Segen geben können.«
»Und du bist dir ganz sicher, dass du das auch wirklich tun willst?«, fragte Portia, die ihre Worte offensichtlich sorgfältig wählte.
»Was meinst du damit?«
Portia biss sich auf die Unterlippe, dann antwortete sie: »Ich habe dein Gesicht im Garten gesehen, als Vivienne Lord Trevelyans Antrag erwähnte. Ich mache mir Sorgen, dass du anfängst, Gefühle für ihn zu entwickeln.«
»Selbstverständlich entwickele ich Gefühle für ihn«, entgegnete Caroline forsch. »Die Art Gefühle, wie man sie für den Mann zu haben erwartet, der vermutlich die eigene Familie vor dem Ruin rettet.«
Portia sah das entschlossene Funkeln in Carolines Augen, seufzte, und gab sich geschlagen. »Was soll ich tun? Soll ich dir folgen, das Kruzifix schwenken und alles mit Weihwasser besprengen?«
»Sorge einfach dafür, dass Vivienne beschäftigt ist und mir nicht in die Quere kommt.«
»Die Aufgabe hättest du Konstabler Larkin übertragen sollen. Ich bezweifle, dass ein Rudel jaulender Werwölfe ihn von ihrer Seite losreißen könnte. Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass wenigstens nicht auch noch Julian in sie verliebt ist.« Portias lässiges Achselzucken konnte nicht ganz den Schmerz verbergen, der ihre Augen überschattete. »Natürlich hat er keinen Zweifel daran gelassen, dass er auch nicht in mich verliebt ist.«
Caroline schüttelte hilflos den Kopf. Sie wünschte sich, sie hätte die Macht, die Ketten zu sprengen, die ihre Herzen fesselten. »Ich glaube nicht, dass der Konstabler Vivienne heute Nachmittag Gesellschaft leisten wird. Was der Grund ist, weshalb ich dich brauche, um ein Auge auf sie zu haben, bis ich zurückkomme.«
Als Caroline an ihr vorbeiging, fasste Portia sie am Arm. »Gib gut auf dich Acht, ja? Selbst wenn sich herausstellt, dass der Viscount kein Vampir ist, kann er trotzdem gefährlich sein.«
Für einen Ort mit so vielen Geheimnissen besaß Trevelyan Castle bemerkenswert wenig verschlossene Türen. Caroline wanderte eine Ewigkeit — wenigstens schien es ihr so — über gewundene Treppen und geflieste Korridore und kam sich ein bisschen wie eine Prinzessin aus Portias geliebten Märchen vor. Dennoch blieb abzuwarten, ob diese Burg verzaubert war oder verflucht. Oder ob ihr unsichtbarer Wächter Prinz oder Biest war.
Die Burg wimmelte von Dienstboten, die damit beschäftigt waren, die Gästezimmer vorzubereiten. Manche der für morgen erwarteten Gäste des Viscounts würden in Gasthäusern in der Nähe einkehren, aber viele würden auch in der Burg selbst untergebracht werden. Zwischen den vielen Dienstmädchen, die ihren unterschiedlichen Pflichten nachgingen, fiel Caroline nicht weiter auf und konnte jedes Stockwerk peinlich genau durchkämmen. Sie entdeckte dabei mehrere Räume, die sie und Portia bei ihrer Suche nach Spiegeln übersehen hatten. Nach einer ergebnislosen Durchforstung der oberen Stockwerke fand sie sich schließlich vor der Tür zur Gemäldegalerie wieder.
Sie berührte mit den Fingerspitzen die Klinke und verspürte den Wunsch, hineinzugehen und zu sehen, ob sie immer noch den Mut besaß, dem rücksichtslosen Krieger gegenüberzutreten, der Kanes Züge hatte.
Über ihre Schulter blickte sie verstohlen zu dem Spitzbogenfenster am anderen Ende des Korridors. Ihr wurde die Zeit knapp. Das Tageslicht schwand, der Mond würde bald schon aufgehen. Sie kehrte der Gemäldegalerie den Rücken, raffte ihre Röcke und eilte zu den Stufen, die nach unten führten. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie sich beeilen musste, und ihre Schritte beschleunigten sich wie von selbst.
Es war gar nicht so schwer, ungesehen an den Dienstboten in der Küche im Erdgeschoss vorbeizuschlüpfen. Sie riefen sich gegenseitig Anweisungen zu und klapperten mit Pfannen und Töpfen, während Gemüse geputzt, geschält und geschnitten und Brot gebacken wurde für das extravagante Souper, das nach dem Tanz morgen Nacht serviert werden sollte. Caroline huschte unter einer Gewölbetür hindurch und schnitt eine Grimasse, als sie flüchtig einen bauchigen Kupferkessel erblickte, der unter einem Eisenhaken stand und das Blut von einem undefinierbaren Stück Fleisch auffing.
Sie bezweifelte, dass sie irgendetwas Wichtiges in dem
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