Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
zerrte sie an dem Griff, nahm schließlich auch noch die zweite Hand dazu und stemmte einen Fuß gegen eine Wand, die sie noch immer nicht sehen konnte.
Etwas bewegte sich. Knarzend und schwerfällig, aber es bewegte sich. Weißes Licht drang durch den Spalt, so hell, dass Nele die Lider zusammenkneifen musste. Aber sie hörte nicht auf, zog und ruckelte weiter an dieser Tür, die sie geschaffen– oder entdeckt?– hatte.
Als der Widerstand plötzlich nachließ, stolperte sie rückwärts und wäre beinahe umgefallen. Das Licht, das durch die schmale Türöffnung fiel, war nun gleißend; so grell, dass Nele im ersten Moment gar nichts sehen konnte. Aber das war nicht wichtig. Es war nicht mehr dunkel! Sie war gerettet, wo auch immer sie jetzt landen würde. Nele beschirmte ihre Augen mit der Hand und trat vorsichtig näher. »Jari?«
Niemand antwortete ihr. Nur sehr langsam gewöhnte sie sich an die Helligkeit, und selbst wenn dort jemand war, hätte sie ihn für den Moment doch nicht erkennen können. Nele blieb auf der Schwelle stehen, hielt sich am Türrahmen fest und blinzelte, bis ihre Augen tränten. Endlich schaffte sie es, die Lider wenigstens einen Spaltbreit offen zu halten.
Auf der anderen Seite der Tür lag ein Raum, den sie nicht kannte. Es war eine karge Kammer, nüchtern eingerichtet und sehr zweckmäßig. Es erinnerte Nele an einen geheimen Kontrollraum, wie man ihn manchmal in Spionagethrillern oder Computerspielen sah. Eine Wand war gepflastert mit Monitoren, über die grünblaue Testbilder flimmerten. Auf einem Tisch darunter befand sich ein Schaltpult mit etlichen verwirrenden Knöpfen und Reglern. Daneben stand auf einem Stativ eine Videokamera, an der ein kleines rotes Licht blinkte. Und eine Stereoanlage in Stand-by-Modus. Sonst war nichts in diesem Raum. Nichts und niemand.
»Jari?«, fragte Nele noch einmal lauter und zog die Tür hinter sich ins Schloss, sperrte die Schwärze aus.
Aber noch immer erhielt sie keine Antwort. Zögernd trat Nele näher an den Schreibtisch und die Wand mit den Monitoren heran. Was sollte sie jetzt tun? War das eine Sackgasse? Oder gab es hier irgendwo eine Botschaft? Es sah nicht so aus. Aber in der Stereoanlage lag eine CD …
Kurz entschlossen schaltete Nele die Stereoanlage ein und spielte die CD ab. Schaden würde es wohl nicht.
Zuerst hörte sie lange Zeit gar nichts. Nele runzelte die Stirn. Die CD lief doch– aber gab es hier überhaupt Lautsprecher? Sie sah sich um, konnte jedoch keine entdecken. Nele schüttelte verständnislos den Kopf. Wozu denn eine Stereoanlage ohne Boxen? Das ergab doch einfach keinen Sinn!
Sie war kurz davor, die Anlage einfach wieder auszuschalten– da hörte sie es. Draußen, vor der Tür.
»Nele!«
Eine Pause. Die CD sprang einen Track weiter.
»Nele, bist du das?«
Nele stockte der Atem. Das war doch nicht möglich! Das war genau das, was sie zuvor gehört hatte! Jaris Stimme, die sie hier heruntergelockt hatte!
Noch ein Track. Pause. Dann der nächste.
»Nele! Hilf mir!«
Ein dicker Klumpen bildete sich in Neles Kehle. Eine Aufnahme? Nur eine Audiodatei? Was war das für ein krankes Spiel?
Die CD stoppte. Die Anlage schaltete sich mit leisem Klicken wieder auf Stand-by.
Vergeblich versuchte Nele ihr wild schlagendes Herz zu beruhigen.
»Was soll das?«, fragte sie in die erneute Stille. »Wer ist da? Und was willst du von mir?«
Sie war selbst überrascht, dass sich ihre Stimme fest anhörte, energisch, dabei fühlte sie sich überhaupt nicht so. Sie hatte Angst, eine Scheißangst, um genau zu sein. Wo war sie hier, und wie kam sie nach Hause? Und vor allem: Wer hatte sie hierhergelockt?
Erwartungsgemäß erhielt sie keine Antwort. Hier war niemand. Immer noch nicht. Nur Nele und diese Monitore. Und die Kamera.
Eine ganze Weile starrte sie auf das Gerät, ohne sich dazu durchringen zu können, näher heranzutreten. Das Erlebnis mit der Stereoanlage war erschütternd genug gewesen. Und etwas war mit dieser Kamera aufgezeichnet worden, das blinkende Licht verriet es deutlich. Doch eine Botschaft? Oder was erwartete sie da? Nele schluckte mit trockenem Mund, aber es half nicht viel. Noch einmal sah sie sich im Raum um, entdeckte aber nichts Neues. Sie hatte ja keine Wahl. Entweder sie sah sich jetzt dieses Video an, oder sie versauerte hier drin. Oder sie versuchte, unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu kommen. Aber das war feige und vor allem dumm. Einmal abgesehen davon, dass sie nicht gerade scharf
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