Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
die Augen. »Das war sehr gefährlich, Tora.«
Tora nickte. »Ich weiß. Aber angesichts der Lage hielt ich solche Risikobereitschaft für angebracht.«
Fae entspannte sich ein wenig. In ihren Augen las Tora Zustimmung. »Und du warst erfolgreich.«
»Gerade noch rechtzeitig«, bekräftigte Tora energisch. »Er war schon sehr tief in die Unendlichkeit hineingeraten. Ein Tag länger, und ich hätte nichts mehr tun können. Aber jetzt weiß er, dass er keine Träume mehr formen darf. Ich habe ihm versprochen, dass wir so bald wie möglich die Klarträumerin kontaktieren.«
Fae nickte langsam. »Das werden wir.« Ein Muskel in ihrem Kiefer zuckte. »Aber zuerst erzähl mir von Seth.«
Tora zögerte. Ihren Verdacht auszusprechen, fiel ihr schwerer, als sie angenommen hatte. Zu gequält sah das Gesicht ihrer Göttin aus. Die Nachricht würde sie schwer treffen, das wusste Tora. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie vorsichtig, »aber ich glaube, dass er den Menschenkörper, in den du ihn gesperrt hast, dazu nutzt, sich der Klarträumerin zu nähern. Ich habe ihn getroffen, aber ich wusste nicht, wer das Mädchen war, bei dem er sich aufhielt. Jari allerdings sagte …« Tora stockte, zwang sich aber, weiterzusprechen. »Er sagte, er sei Nele in der Traumwelt bereits begegnet – oder zumindest habe er in der Nähe des Nachtglases ihre Stimme gehört. Daher glaube ich, dass …«
»Dass Seth sie in Jaris Traumkammer gelockt hat«, brachte Fae ihren Satz zu Ende. »Ja, das vermutest du richtig. Es kann nicht anders sein.« Sie seufzte. »Und es erklärt auch, warum ich Nele in ihrer eigenen Traumkammer nicht finden konnte, als ich vergangene Nacht dort nach ihr Ausschau hielt.«
Tora presste die Lippen zusammen. Faes Stimme klang so bitter, so bis ins Mark enttäuscht, dass Tora beinahe versucht war, den Rest ihrer Anschuldigungen zu verschweigen, um Fae nicht noch mehr Schmerz zuzufügen. Aber das ging natürlich nicht.
»Ich habe auch mit Seth gesprochen«, erklärte sie mit möglichst ruhiger Stimme. Gerechte Empörung war hier nicht angemessen, das spürte sie deutlich. »Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber was er sagte, klang ganz so, als wolle er einen Bruch des Nachtglases nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern ihn vielleicht sogar provozieren. Ich dachte nicht, dass ihm das möglich wäre. Aber nachdem ich nun weiß, dass dieses Mädchen Nele war … fürchte ich, dass er sich ihr Vertrauen erschleichen und sie darüber hinaus vor uns in Jaris Traumkammer verstecken wollte. Auch wenn er vermutlich nicht geplant hat, dass sie dort drin mit Jari Kontakt aufnimmt.«
Fae schwieg. Ihre Augen waren leer. Und Tora begrub alle Fragen, die sie noch hatte stellen wollen. Warum die Göttin nicht geahnt hatte, was Seth tun würde. Ja, warum sie ihn überhaupt in erster Linie in einen Menschenkörper gesperrt hatte, statt ihn einfach zu verstoßen.
»Was sollen wir tun?«, brachte sie nur vorsichtig vor, und selbst das wagte sie kaum.
Aber Fae beachtete sie gar nicht. »Ich hatte gehofft, er begreift, was er verliert, wenn er erst aus dem Traumreich ausgesperrt ist«, sagte sie wie zu sich selbst. »In einem Menschenkörper zu leben, sollte ihm zeigen, was für ein Geschenk die Aufgabe der Wächter ist. Aber wie es scheint, kann er nicht einmal die einfachsten Lektionen richtig verstehen.«
Sie seufzte schwer und schüttelte erneut den Kopf. »Bring sie zu mir, Tora«, sagte sie, und ihre Stimme klang nun wieder gewohnt fest. »Den Träumer und das Mädchen. Hilf Nele, den Weg in die Unendlichkeit zu finden. Ich kann nicht in die Menschenwelt gehen und Seth bestrafen. Meine Kräfte reichen nicht über die Traumwelt hinaus, wie du weißt. Aber mit ihrer Hilfe kann ich das Nachtglas heilen – und ihn hierher zurückholen. Dann hat er keine Gnade mehr zu erwarten. Und vielleicht können wir so doch noch das Nachtglas retten. Willst du das für mich tun?«
Ohne darüber nachgedacht zu haben, sank Tora auf ein Knie. Sie hatte das Gefühl, Fae sei niemals mächtiger oder größer gewesen als in diesem Moment, in ihrer Trauer über den Verrat des Katers, und im Angesicht der Katastrophe, von der sie nicht wusste, ob sie sie noch aufhalten konnte.
»Ich würde alles für dich tun, Fae.« Sie senkte den Kopf, bis ihre Stirn fast ihr Knie berührte. »Ich bringe sie hierher, so schnell ich kann. Du hast mein Wort.«
Sie spürte das Lächeln der Göttin warm auf ihrer Haut prickeln. »Ich danke dir, Tora. Ich
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