Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
er langsam. »Einverstanden. Aber unternimm nichts auf eigene Faust, versprich mir das. Halte dich von dem Nachtglas fern. Wenn du Jari gefunden hast, und auch wenn er wirklich hinter dem Nachtglas sein sollte, komm sofort zurück. Dann überlegen wir, wie wir ihn erreichen können, ohne dich auch noch zu verlieren.«
Nele schwieg eine Weile. Ohne sie zu verlieren? Sie betrachtete Seths angespannte Züge. Seine Sorge war zweifellos echt. Ihr fiel nun auch wieder ein, wie sie sich bei ihrer letzten Begegnung an ihrem Traumstrand getrennt hatten. Er hatte sie mitnehmen wollen– aber auf ihre Forderung, er müsse sie auch wieder zurückbringen, hatte er nicht geantwortet. Und dann war er verschwunden. Bedeutete das dann also…?
»Es gibt keinen Weg zurück, wenn man erst hinter dem Nachtglas ist, nicht wahr?«, fragte sie leise. »Und du hast nicht gewusst, dass es brechen könnte.«
Seth nickte. Er legte seine Hand über Neles und schloss sie mit festem Druck. »Ich halte dich nicht auf«, sagte er leise. »Ich weiß, wie wichtig dir das ist. Aber bitte sei vorsichtig!«
Nele atmete tief durch. Sie begann allmählich zu ahnen, dass das alles vielleicht noch gefährlicher war, als sie dachte. Aber ein Rückzieher kam nicht infrage. Wer sonst sollte Jari denn finden?
»Gut«, murmelte sie. »Dann fangen wir jetzt an.«
Seth nickte noch einmal. Dann legte er sich neben Nele und breitete die Decke über sie beide. Es war eigenartig, wie vertraut ihr seine Nähe inzwischen war. Sein Atem an ihrem Ohr, und seine Finger, die sich auf ihrem Bauch mit ihren verschränkten. Und wie er sich ganz dicht an ihre Seite schmiegte, bis seine Lippen beinahe ihre Schläfe berührten.
»Weißt du noch, was du tun musst?«
»Ja.« Nele schloss die Augen. Sie hatte seine Worte noch genau im Kopf. Ein Atem. Ein Herzschlag. Ein Traum. Alles eins, bis die Grenzen zwischen ihr und Seth sich auflösten. Und von hundert abwärts zählen.
Diesmal fiel es ihr viel leichter als vor zwei Nächten. War sie beim ersten Mal noch haltlos in die fremde Dunkelheit hinabgestürzt, war es jetzt eher, als würde sie mit einem beherzten Satz hineinspringen, Füße voran, wie vom Zehnmeterbrett im Schwimmbad. Das Blut rauschte in ihren Ohren, während sie wie ein Pfeil durch die Schwärze schoss, an der Grenze zwischen Träumen und Wachen vorbei, immer schneller und schneller abwärts.
Und dann war der Fall vorüber und sie stand wieder vor der Tür. Der Tür, die in Jaris Traumwelt führte und die diesmal sperrangelweit offen stand.
Zehntes Kapitel
Als Tora in die Glashalle stürmte, lag Fae auf ihrem Thron, als hätte sie sich nie von ihm entfernt.
»Fae! Wo bist du gewesen?« Tora war zu aufgewühlt und erleichtert, um sich mit den üblichen Respektbekundungen aufzuhalten. Die Welt stürzte ins Chaos, und die Göttin war fort gewesen. Jetzt war sie zurück und Tora musste mit ihr sprechen. Und das so schnell wie möglich.
Fae hob eine Braue und musterte Tora kühl. »Ich habe mir diese Nele, diese Klarträumerin, aus der Nähe angesehen. Ich wollte wissen, ob sie uns wirklich helfen kann. Jetzt bin ich mir sicher, dass sie dazu in der Lage ist. Und du, Tora? Was hast du zu berichten, dass du nicht einmal mehr Zeit für ein wenig Höflichkeit hast?«
Tora blieb auf der untersten Stufe des Throns stehen und zwang sich, zur Ruhe zu kommen. Es fiel ihr nicht leicht – zu sehr hatte das Intermezzo mit dem verlorenen Träumer sie mitgenommen, und zu gewaltig war der Verdacht, der sie nach Jaris letzten Worten überkommen hatte.
»Ich habe den Jungen gefunden«, erklärte sie so sachlich wie möglich. »Und ich vermute, dass Seth dich hintergeht.«
Bei ihren Worten hatte Fae sich ruckartig aufgerichtet. Es war schwer zu sagen, welche der beiden Nachrichten sie mehr in Alarmbereitschaft versetzte. Aber Tora war froh zu sehen, dass sie in jedem Fall einen Nerv getroffen zu haben schien. Nicht einmal die Göttin hielt es jetzt noch für nötig, ihre sorgfältig zur Schau getragene Gelassenheit aufrechtzuerhalten.
»Erzähl mir mehr.« Faes Stimme klang schneidend scharf wie eine hauchdünne Glasklinge. Ihre sonst so ruhigen Augen funkelten. »Und lass nichts aus. Ich muss alles wissen.«
Toras Ohren zuckten unruhig. Der Zorn der Göttin galt nicht ihr, trotzdem fühlte sie sich alles andere als wohl unter diesem Blick.
»Ich bin durch diesen Riss getaucht«, berichtete sie so sachlich wie möglich, »um den Träumer zu finden.«
Fae verengte
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