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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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Seufzer streckte sie sich aus und warf Svea einen auffordernden Blick zu.
    Aylin, die sich inzwischen auf Charlottes Stuhllehne gehockt hatte, räusperte sich verhalten. »Und… ähm… was machen wir denn, Nele?«
    Nele warf ihr einen schnellen Blick zu. Gar nichts!, hätte sie beinahe gesagt. Aber sie befürchtete, dass Aylin und vor allem Charlotte das in den falschen Hals bekommen könnten, nachdem Charlotte doch so großzügig das Haus ihrer Eltern als Rückzugsort angeboten hatte.
    »Ihr passt auf, dass uns niemand stört«, schlug sie deshalb vor. »Ich weiß nicht, wie leicht es sein wird, uns zu wecken, sobald wir erst mal träumen. Aber wenn der Kater kommt, müsst ihr ihn auf jeden Fall daran hindern, hier ins Zimmer zu kommen. Kann man die Tür abschließen?«
    Charlotte nickte ein wenig zögernd. »Theoretisch schon. Aber meine Mutter hat irgendwann alle Schlüssel aus den Türen genommen und irgendwo hingelegt, weil sie beim Türenschließen immer aus dem Schloss gefallen sind. Da müsste ich mal gucken, wo die sind.«
    »Dann sucht sie«, bestimmte Nele kurz entschlossen. »Teilt euch auf, dann geht es schneller.«
    Aylin sah Nele noch immer aus großen Augen an. »Wie lange wirst du… ähm… weg sein?«, fragte sie leise.
    Nele biss sich auf die Lippe. »Ich weiß es nicht«, gestand sie. »Ich hoffe, nicht sehr lange.«
    »Das hoffe ich auch«, murmelte Svea neben ihr. Dann legte sie sich hin. »Fangen wir gleich an«, sagte sie, und ihre Stimme klang nun wieder so entschlossen, wie Nele es von ihr gewöhnt war. »Umso eher ist es vorbei.«
    Nele nickte. »Es wäre am besten, wenn du mich in den Arm nehmen könntest«, schlug sie vorsichtig vor. »Ich muss mich auf deinen Herzschlag konzentrieren können.«
    Svea presste kurz die Lippen zusammen. Dann zuckte sie die Schultern. »Warum nicht. Wir machen es, wie du es für richtig hältst.«
    Nele atmete auf. »In Ordnung. Danke.« Sie legte sich ebenfalls wieder hin und schloss die Augen. Die Matratze wippte ein wenig, und kurz darauf spürte sie, wie Svea dicht an sie heranrückte und einen Arm um ihren Oberkörper legte.
    »So?« Sveas Atem streifte ihren Hals, warm und ein bisschen unregelmäßig.
    Nele schluckte, aber sie öffnete die Augen nicht. »Perfekt«, flüsterte sie. Es war wirklich warm. Schon jetzt begann sie zu schwitzen. Aber seit Svea ihr so nah war, war sie schon viel zuversichtlicher, dass ihr Plan wirklich funktionieren könnte.
    »Also los.«
    Im Zimmer wurde es nun ganz still. Es war, als ob alle Geräusche zurücktraten und sich schließlich ganz verloren hinter dem Klang der zwei Herzschläge, die Nele jetzt in ihrer Brust fühlte. Unregelmäßig zwar, aber schon nach wenigen Pulsen so nah, dass sie nicht mehr hätte sagen können, welcher der ihre war und welcher Sveas. Es fiel Nele schwer, die beiden Rhythmen in Einklang zu bringen. Aber sie zwang sich, gleichmäßig weiter zu atmen. Weiches graues Licht senkte sich wie eine Wolke auf sie herab, während sie unbeirrt abwärts zählte, von hundert an, wie Seth es ihr beigebracht hatte. Das graue Licht war ganz anders als die Dunkelheit, die sie bei Jari gesehen hatte, sehr viel unsteter und mehr wie Nebel. Und trotzdem hatte Nele keinen Zweifel daran, dass sie auf dem richtigen Weg war. Mit jedem Atemzug näherten sich die Herzschläge in ihrer Brust einander an. Ein Herz, ein Atem, ein Traum. Abwärts, abwärts, Schritt um Schritt, Zahl um Zahl. Und als sie bei null angekommen war, glitt sie hinein ins dichte Grau, tauchte immer weiter hindurch; eine Bewegung so leicht, als würde sie schweben– bis sie schließlich wieder festen Boden unter sich spürte. Ein großes Bogenfenster direkt vor ihr stand weit offen.
    Sie war in Sveas Traumwelt angekommen.
    Auf der anderen Seite der Schwelle war alles sauber und übersichtlich, fast steril, wie in einem Krankenhaus. Ein langer, hell erleuchteter Flur erstreckte sich so weit, dass Nele das Ende nicht sehen konnte. In regelmäßigen Abständen gingen Türen zu beiden Seiten ab, mit großen Fenstern im oberen Drittel.
    Es überraschte Nele nicht sonderlich, dass in Sveas Welt alles so aufgeräumt und geradezu streng wirkte. Es passte zu ihr. Nele begann zu vermuten, dass möglicherweise jeder Zugang zu den Träumen eines Menschen in ähnlicher Weise angeordnet war: eine Art Gang, mit unendlich vielen Zugängen zu den einzelnen Szenarien und Landschaften. Und sie fragte sich unwillkürlich, wie wohl ihr Traumgang aussehen mochte.

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