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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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und am liebsten hätte sie Jari gepackt und ihn mitgenommen, irgendwohin, wo ihm keiner mehr wehtun konnte. Dabei hatte sie ja kaum begonnen zu ahnen, wie schwierig sein Leben wirklich war.
    Jari stapelte die leeren Pappschalen ineinander und trank seinen letzten Schluck Cola. »Na ja. Ich sollte dann jetzt mal gehen, denke ich.«
    Nele nickte nur und folgte ihm, als er vom Klettergerüst sprang. Dabei überlegte sie verzweifelt, was sie noch sagen konnte, um der Situation etwas von der seltsamen Spannung zu nehmen, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte.
    »Vielleicht werde ich Taxifahrerin.« Es war nur ein alberner Gedanke, der ihr da über die Lippen rutschte. »Dann fahre ich dich, wohin du willst.«
    Sie bereute den dummen Spruch noch im gleichen Augenblick, als sie ihn aussprach. Das war nicht witzig. Wie blöd konnte man eigentlich sein?
    Doch zu ihrer grenzenlosen Überraschung hörte sie Jari in diesem Moment zum ersten Mal lachen. Es war ein leises, verhaltenes Lachen und bereits vorbei, ehe sie richtig begriffen hatte, dass er gerade lachte. Aber es leuchtete noch sekundenlang auf seinem Gesicht, und für einen Augenblick war es Nele, als könnte sie durch einen winzigen Spalt in sein Leben hineinsehen. Den Jungen erkennen, der sich hinter dieser Mauer aus Zurückhaltung und grimmigem Schweigen versteckte.
    »Danke für das Essen«, sagte er bloß und schob die Hände in die Taschen. »Treffen wir uns morgen vor der Schule? Unter der Linde, so um halb acht?«
    Nele nickte hastig und fühlte sich plötzlich innerlich ganz leicht und froh, wie sie es selten vorher erlebt hatte. Wie konnte das denn sein, dachte sie perplex, dass ein echt dämlicher Witz so etwas Schönes anrichtete? »Ja, klar«, brachte sie heraus. »Dann… bis morgen.«
    Jari lächelte schief. »Ja. Bis morgen.«
    Und obwohl er ansonsten nichts mehr sagte, nur dieses schlichte »Bis morgen«, obwohl er sich abwandte und mit gewohnt eiligen Schritten durch den diesigen Park davonging, hatte Nele plötzlich das Gefühl, dass sie sich in diesem Moment ein wenig nähergekommen waren. Dass sie sich gerade, zum ersten Mal, wirklich in die Augen gesehen hatten und dass sie, mit ein bisschen Geduld, möglicherweise diesen Spalt in seiner Mauer vergrößern und ihren Arm hindurchstrecken konnte.
    Und dass Jari dann, ebenso möglicherweise, ihre Hand ergreifen würde.
    ***
    Jari hätte später nicht mehr sagen können, wie lange er vor der Wohnungstür stand und sich nicht entschließen konnte, hineinzugehen oder wegzubleiben.
    Sehr lange, in jedem Fall.
    Er hätte es selbst nicht für möglich gehalten. Aber während des Treffens mit Nele hatte er tatsächlich für eine kurze Weile vergessen, was am Morgen geschehen war. Und was ihn erwarten würde, wenn er nach Hause zurückkehrte. Jetzt, wo er erst einmal hier war, fiel es ihm natürlich wieder ein. Schon auf dem Weg die Treppe hinauf waren seine Beine schwer gewesen, als hätte jemand Gewichte daran gebunden. Aber er war nicht umgekehrt, obwohl es fast zu leicht gewesen wäre. Schließlich wusste er jetzt, wo er im Notfall hätte Zuflucht finden können.
    Sein Vater war da. Seine Schuhe standen auf der Fußmatte, klobig und schlammverkrustet, als sei er im Wald gewesen. Was auch immer er dort getan hatte, jetzt jedenfalls war er daheim, wartete sicher längst darauf, dass Jari nach Hause kam. Jaris Herz schlug ihm bis zum Hals, und seine Finger zitterten leicht, während er in seiner Jackentasche nach dem Wohnungsschlüssel suchte. Unter dem Winterpullover klebte ihm das T-Shirt schweißnass am Oberkörper. Und selbst als er den Schlüssel endlich aus der Tasche gefingert hatte, konnte er sich nicht gleich entschließen, die Tür zu öffnen. Gut möglich, dass sein Vater vorhatte, seinen Ausbruch vom Morgen zu einem schlimmen Ende zu bringen. Irgendwann, das wusste Jari, würde er sowieso dort hineingehen müssen. Er war noch nicht so weit, Erlfeld verlassen zu können. Noch längst nicht. Aber musste es jetzt sofort sein? Wäre es nicht besser gewesen, noch zu warten? Vielleicht eine Nacht lang wegzubleiben und zu hoffen, dass sein Vater sich bis dahin wieder beruhigt hatte? Oder würde es das nur noch schlimmer machen?
    Das Zeitgefühl ging ihm völlig verloren, während er reglos vor der Tür stand. Er wusste nicht, wie lange er zögerte.
    Nicht lange genug.
    Denn am Ende betrat er die Wohnung doch.
    ***
    Von: [email protected]
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