Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
solltest. Sei es nur, um dir, wenn du doch so wenig vertraut mit Klarträumern bist, einen Rat zu holen, wie du mit ihnen umzugehen hast.« Sie seufzte resigniert. »Sei von nun an besonders wachsam, damit es nicht wieder geschieht. Begreifst du wenigstens das?«
Es kostete Seth einige Mühe, bei ihren Worten nicht zusammenzuzucken – oder gar die Erleichterung zu zeigen, die kurz darauf wie ein Sturzbach durch ihn hindurchrauschte und den sauren Geschmack fortspülte, den die zweite herablassende Bemerkung über seine Intelligenz innerhalb weniger Sekunden in seinem Mund zurückließ. Fae dachte also, Nele hätte das Nachtglas versehentlich gestreift? Sie wusste gar nichts davon, dass Seth sie dazu gedrängt hatte? Beinahe hätte er laut aufgelacht. Aber damit hätte er sich nur im letzten Moment doch noch in die Schwierigkeiten gebracht, denen er offenbar gerade noch entgangen war. Sicherheitshalber neigte er den Kopf noch etwas tiefer, bis er seine Göttin unter den gesenkten Wimpern kaum noch sehen konnte. »Ja, ich verstehe«, sagte er schnell und betete, dass sie das Glucksen in seiner Stimme nicht hören würde.
Fae musterte ihn aus schmalen Augen. »Ich hoffe, das tust du wirklich. Denn dann wirst du auch begreifen, dass du sofort aufhören musst, ihr nachzustellen, und wirst dich stattdessen wieder um deine Pflichten kümmern. Das Nachtglas liegt in unser aller Verantwortung, Seth. Auch in deiner, selbst wenn du das einfach nicht in deinen Schädel bekommen willst.«
Seth hörte schon nur noch mit halbem Ohr zu. Wie mechanisch nickte er folgsam. »Ich verspreche es, Fae«, hörte er sich selbst sagen, während seine Gedanken längst weit fort wanderten. Fae wusste nicht, dass er Nele mit ins Nachtglas genommen hatte! Und nicht nur das, es bestand sogar eine gewisse Chance, dass sie von ganz allein hineinstolperte. Das war einfach perfekt! Denn dann würde die Göttin auch heute nicht Seth verdächtigen, wenn er es diesmal doch schaffte, sie in die zweite Ebene zu bugsieren.
Als kräftige Finger sein Kinn umschlossen und es in die Höhe zwangen, zuckte er zusammen. Farblose Augen fixierten ihn mit starrem Blick. »Es ist mir ernst!«, zischte Fae. »Reiß dich zusammen!«
Seth schluckte. Zu nicken, während Fae ihn festhielt, war nicht ganz einfach. Trotzdem schaffte er es irgendwie, eine um Vergebung heischende Miene aufzusetzen. Er war nur froh, dass die Göttin nicht zu genau wusste, was in ihm vorging. Fae konnte vieles. Aber Gedankenlesen gehörte glücklicherweise nicht dazu. »Ich werde dich nicht enttäuschen. Du hast mein Wort.«
Fae schnaufte abfällig. Aber sie ließ ihn los. »Das Wort eines Katers, der nur Luft im Kopf hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Glaube mir einfach, dass es nur zu deinem Besten ist, wenn du in dieser Hinsicht keine Dummheiten machst.« Sie warf einen Blick hinunter in Neles Traumkammer, in der inzwischen ganz allmählich ein sanfter goldener Schimmer die Dunkelheit durchdrang und sie aufzulösen begann.
»Die Wacht hat begonnen. Es ist Zeit, zu gehen.«
Seth nickte erleichtert. Ob Fae nun ihn meinte oder sich selbst, war ihm gleich. Er wollte sie einfach nur los sein. Nele konnte jeden Augenblick hier auftauchen.
Langsam wandte Fae sich ab. »Vergiss nicht, Seth«, sagte sie noch. »Du hast mich schon zu oft enttäuscht. Das nächste Mal könnte das letzte sein.«
Seth antwortete nicht darauf. Zum einen, weil sie recht hatte. Und zum anderen, weil dieses Gespräch endlich beendet werden musste. Aber Fae schien auch keine Antwort zu erwarten. Nach einem letzten langen Blick entfernte sie sich mit gemächlichen Schritten und verschmolz mehr und mehr mit der sternübersäten Dunkelheit von Seths Revier. Perfekt inszeniert. So wie alles, was sie tat. Seth sah ihr ungeduldig nach, bis auch das letzte schwache Leuchten verblasst war. Erst dann wandte er sich dem Strand weit unter ihm zu, der inzwischen in allen Einzelheiten aus der Nacht gewachsen war.
Und dort, dort war auch Nele.
Seth lächelte. Sein Wort Fae gegenüber hin oder her, die Wacht konnte ihm gestohlen bleiben. Es war höchste Zeit für einen zweiten Versuch. Und er wusste auch schon, wie der aussehen sollte.
Diesmal war sie auf sein Kommen vorbereitet.
Sie tat nichts, um ihn zu rufen oder hervorzulocken, ganz als hätte sie endlich akzeptiert, dass er kein Teil ihrer eigenen Gedankenwelt war. Sie stand einfach da, in ihrem Nachthemd am Wassersaum, und grub die Zehen in den nassen Sand, während sie
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