[email protected] Betreff: Ich bin erschüttert!!!
Madame,
ich hoffe du weißt, dass ich m-e-h-r! wissen will – um nicht zu sagen: Alles!!! Wirklich, erzähl mir nicht von einem Typen und behalte dann die Details für dich … das geht gar nicht, hör mal!
Entrüsteter Blick und kein Küsschen heute.
Billy
Von:
[email protected]
An: [email protected]
Betreff: Tut mir leid…
Sorry Bill,
ich hab ja schon gesagt, ich erzähle dir heute mehr. Habe versucht, dich anzurufen, aber du bist wohl beim Malkurs, oder? Wir müssen bald telefonieren, hörst du? Es ist alles so komisch, seit ich hier bin. Schwer zu erklären.
Der Junge, von dem ich geschrieben hatte, heißt Jari. Er ist ein bisschen schräg, ich glaube, er mag keine anderen Menschen. Mit mir redet er aber, und irgendwie kann ich ihn echt gut leiden … Ich halte dich auf dem Laufenden.
Was aber viel mieser ist, sind die Träume. Ich konnte dir nicht davon erzählen, weil ich nicht wusste, wie. Aber ich will, ehrlich! Die sind hier so anders als zu Hause. Ständig taucht so ein merkwürdiger Kerl auf, der sich Seth nennt. Ich habe das Gefühl, er gehört irgendwie nicht dort rein, als käme er nicht aus meinem Kopf, aber er ist trotzdem da …
Nele hielt inne. Das klang echt abgefahren. Lilly würde ausrasten vor Sorge, und Nele war sich nicht sicher, ob ihre Freundin damit nicht vielleicht sogar recht hatte. Sie starrte aus dem Fenster, auf den Balkon, wo gestern der Kater gesessen hatte. Auf dem Heimweg hatte sie ihn wieder gesehen, er war ihr ein ganzes Stück gefolgt. Wahrscheinlich wohnte er hier ganz in der Nähe. Jetzt allerdings ließ er sich nicht blicken, und aus irgendeinem dummen Grund war Nele erleichtert darüber. Je näher die Nacht rückte, desto weniger wusste sie, was sie tun sollte. Sich wieder an den Strand träumen und sehen, ob Seth dort auftauchen würde? Und wenn er wieder versuchte, sie auf dieses Nachtglas mitzunehmen? Nele war sich ganz und gar nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Aber sie wusste auch, es würde ihr sehr schwerfallen, abzulehnen, sollte Seth sie noch einmal darum bitten, ihn zu begleiten. Es war zu faszinierend. Er war zu faszinierend… Nele atmete einmal tief durch und schrieb weiter.
Paps ist jetzt auch weg und Mommi ist so müde wegen der neuen Arbeit. Kannst du mich anrufen, wenn du zu Hause bist? Wenn es zu spät ist, klingel auf dem Handy an, dann rufe ich zurück. Ich muss reden, wirklich.
Du fehlst mir hier.
Alles Liebe, deine Nele
Für einen Moment schloss Nele die Augen und horchte auf ihr Herz, das allein beim Schreiben dieser verdrehten Wahrheiten heftig zu pochen begonnen hatte. Dann schickte sie die Mail ab. Lilly musste ihr jetzt sagen, was sie tun sollte. Sie war die Einzige, die wusste, wie es mit Nele und ihren Träumen stand– außer Paps, der eine Weltreise entfernt war, und Mommi, die schon wieder schlief. Nele wollte es ihr nicht übel nehmen, dass sie gerade jetzt nicht für sie ansprechbar war. Immerhin hatte Mommi diese neue Stelle vor allem deshalb angenommen, um auf lange Sicht mehr Zeit für ihre Tochter zu haben, und wenn sich erst alles eingeruckelt hatte, würde das sicherlich auch eintreffen. Aber trotzdem entschied Nele, dass sie sie heute einfach auf dem Sofa schlafen lassen würde. Wenn sie sich dann morgen gerädert fühlte, war das nur gerecht.
Sie warf sich auf ihr Bett, das Handy in der Hand, und starrte an die Decke. Es dauerte nicht lange, bis ihr die Lider schwer wurden, obwohl es ganz sicher besser war, nicht einzuschlafen, solange sie sich nicht entschieden hatte, was sie tun wollte.
Irgendwann dämmerte sie trotzdem weg.
Und Lilly rief nicht an.
Drittes Kapitel
Warum war es schiefgegangen?
Seth konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken. Ziellos streifte er durch sein Revier und beobachtete allerhöchstens mit einem Auge und einem halben Ohr die Träumer, die nach und nach ihre Traumkammern betraten. Dabei kehrte er wie von unsichtbaren Fäden gezogen immer wieder zu Neles Kammer zurück, die dunkel und verlassen dalag. Entweder sie schlief noch nicht, oder sie hatte noch nicht zu träumen begonnen. Seth hockte sich im Schneidersitz in den schwarzen Himmel und wartete ungeduldig darauf, dass sich endlich etwas tat. Er musste sie wiedersehen. Er musste es noch einmal versuchen. Denn wenn Seth eines nicht ertragen konnte, dann war es, nicht zu bekommen, was er wollte. Und es leuchtete ihm