Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
es, und das Rauschen vermischte sich mit dem Gewirr von aufgeregten Stimmen und dem Gellen der Trillerpfeife, die das Spiel unterbrach. Nele spürte, wie heißes Blut in ihre Nase stieg und über ihre Oberlippe in ihren Mund lief, aber sie war noch viel zu benommen, um überhaupt zu realisieren, was gerade geschehen war. Sie hielt nur ihre Hand über Nase und Mund und unterdrückte mühsam das Kichern über ihre eigene Blödheit, das einfach zu makaber aussehen musste mit den blutverschmierten Zähnen– das war alles, was sie noch zu denken imstande war, während sie weiter wie eine Irre kicherte und gleichzeitig lautlos heulte, ohne wirklich Schmerzen zu spüren.
Irgendjemand drückte ihr ein kühles, feuchtes Tuch in die freie Hand, das sie schnell unter ihre Nase hielt. Dann tauchte auch schon Herr Beek vor ihr auf.
»Was machst du denn für Sachen, Mädchen?«, brummte er. Seine Stimme klang plötzlich überhaupt nicht mehr grob, sondern sehr fürsorglich.
Nele schüttelte nur den Kopf und war froh, dass sie dafür nicht mit bösen Schmerzen bestraft wurde. Herr Beek hob einen Finger und hielt ihn vor ihre Augen. »Kannst du den deutlich sehen?« Als Nele nickte, schwenkte er die Hand langsam hin und her. »Und kannst du der Bewegung ohne Probleme folgen?«
Wieder nickte Nele. Herr Beek knurrte, offenbar erleichtert, und begann mit zwei Fingern ihre Nase abzutasten.
»Schmerzen?«
Nele schüttelte den Kopf, und das war sogar die Wahrheit. An ihrer Nase spürte sie gerade so ungefähr gar nichts.
»Mmh. Scheint nicht gebrochen zu sein. Glück gehabt.« Herr Beek stand auf und klimperte mit seinen Schlüsseln.
»Aylin! Du bringst Nele mal ins Krankenzimmer«, ordnete er an und half Nele beim Aufstehen, ehe er sie schließlich Aylins ängstlicher Fürsorge übergab. »Ruh dich dort aus, bis du dich wieder fit fühlst, okay?«
Nele drückte nur das feuchte Tuch etwas fester unter die Nase und nickte ein drittes Mal. Allmählich ließ die Blutung glücklicherweise etwas nach. Aber sie vermied es trotzdem, ihre Mitschüler anzusehen, als sie an Aylins Arm die Halle verließ wie ein geschlagener Krieger. Sie war sich auch so viel zu deutlich der Tatsache bewusst, dass alle sie anstarrten. So viel zu dem Plan, sich im Sportunterricht nicht vor Jari zu blamieren. Ihr Gesicht fühlte sich ganz aufgedunsen an, und sie schmeckte immer noch das Blut im Mund. Was für ein beschissener Morgen.
»Du kannst einen aber auch erschrecken!«, sagte Aylin ein wenig vorwurfsvoll, als sie die Tür zum Krankenzimmer aufschloss.
Statt einer Antwort folgte Nele ihr nur schweigend in den kleinen Raum und ließ sich kurz darauf aufatmend auf die Liege sinken, die an der gegenüberliegenden Wand stand. Draußen war der Himmel aufgerissen, und blasses Sonnenlicht fiel durchs Fenster direkt auf ihr Gesicht.
»Ich hol dir deine Sachen aus der Umkleide«, sagte Aylin und huschte schon aus dem Raum.
Nele streckte sich auf der Liege aus und versuchte, sich auf dem durchgelegenen Polster in eine halbwegs bequeme Position zu bringen. Das Nasenbluten hatte inzwischen endgültig aufgehört. Trotzdem hielt sie sicherheitshalber weiter das Tuch über ihren Mund, bis Aylin zurückkehrte und ihre Tasche und ihre Klamotten auf einem Hocker neben der Liege stapelte. Nur den Pullover warf sie auf Neles Bauch, was zugegebenermaßen eine ziemlich gute Idee war.
Während Nele den Pulli über den Kopf zog– vorsichtig, um ihre geschundene Nase nicht versehentlich noch einmal zu erschüttern–, förderte Aylin aus einem Metallschrank an der Wand neben der Tür eine graue Wolldecke zutage, die ein wenig muffig roch und an der bloßen Haut von Neles Beinen kratzte. Aber darunter wurde es schnell angenehm warm. Vielleicht, dachte Nele, war dieser Unfall doch gar nicht so schlimm, wenn sie dafür den Rest der Stunde hier verbringen durfte. Blamage hin oder her.
»Geht’s dir jetzt besser?« Aylin zog die Decke bis unter Neles Kinn und stopfte sie um ihre Füße fest.
Nele nickte. »War halb so wild«, nuschelte sie. »Ich wusste halt nicht, wie ich mich sonst vor diesem Terrorprogramm retten soll.«
Aylin lachte und strich ihr mit einer mütterlichen Geste die Haare aus dem Gesicht, ehe sie sich völlig in den Blutresten unter Neles Nase festsetzen konnten. »Du bist schon verrückt.«
Da war es wieder, dieses Wort. Verrückt. Aylin sagte es ziemlich oft, fiel Nele auf, und man hätte meinen können, sie wollte jedes Mal etwas anderes damit
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