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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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Schimmer fiel nahe der Wohnungstür über die Küchenschwelle. Und jetzt endlich hörte Jari auch etwas. Etwas wie… leise Musik. Eine zarte Frauenstimme sang eine Melodie, von der er glaubte, dass sie ihm hätte vertraut sein müssen.
    Mutter?
    Ein seltsamer Druck lag plötzlich auf Jaris Brust, als er sich dem Eingang zur Küche näherte. Der Gesang wurde dadurch nicht lauter, aber er war nun besser zu verstehen.
    Leise, leise
    Leucht’ das Licht
    Erhellt die Nacht mit warmem Schein
    Für immer dein
    Dein ewig’ Licht bin ich.
    Jari blieb stehen. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, nicht richtig atmen zu können. Natürlich kannte er dieses Lied! Seine Mutter hatte es oft gesungen, als er noch klein war und… was? In seinem Kopf setzte etwas aus, als sei dort ein schwarzes Loch. Als sollte er sich an etwas erinnern, konnte es aber nicht. Was tat sie denn da bloß? Inzwischen hatte sie die zweite Strophe begonnen. Offenbar war sie noch nicht auf ihn aufmerksam geworden.
    Träumend, träumend
    singt der Ton
    Erfüllt das Herz mit reinem Klang
    Seelengesang
    Nur den Traum noch bewohnt.
    Jaris Hände begannen zu zittern. Seine Mutter hatte damals geweint, als sie es sang, das wusste er plötzlich mit erschreckender Klarheit. Aber warum nur? Warum? Die Frage füllte ihn völlig aus, drohte ihn von innen zu sprengen. Und warum sang sie es jetzt? Jari hatte sich selten vor etwas so gefürchtet wie vor dem Augenblick, in dem er die Küche betreten würde. Aber er musste sie aufhalten, sie durfte nicht …!
    Sachte, sachte
    Sinkt das Licht.
    Es ruht die Nacht, es schläft der Klang
    Nicht mehr lang
    Nicht mehr lang
    Oh Liebster
    Vergiss mein …
    »Mama!« Jari stürzte in die Küche.
    Und da saß sie. Auf der schmalen Holzbank, strahlend, als würde sie von innen heraus leuchten wie das Licht in ihrem Lied. Vor ihr lag das große Küchenmesser, das sonst fest verschlossen in der zweiten Schublade neben dem Kühlschrank eingesperrt war. Die Klinge war mit einer schwarzen Flüssigkeit befleckt, aber zwischen den Flecken war sie blank. Im polierten Stahl spiegelte sich der graue Schein mehrerer Kerzen, die in einem herzförmigen Kuchen steckten. Ein Kuchen, wie Jari ihn als Kind zum Geburtstag bekommen hatte. Aber er sah nicht richtig aus. Nichts sah richtig aus. Grau in grau in grau. Alles war farblos. Selbst das Licht. Wo um alles in der Welt waren die Farben geblieben?
    »Jari«, sagte seine Mutter. In ihrer Stimme klang noch immer die Melodie nach. »Ich bin so froh, dich zu sehen!« Sie lächelte– ein so freies, glückliches Lächeln, wie Jari es ein gefühltes Leben lang nicht mehr an ihr gesehen hatte. Und doch bemerkte er im gleichen Augenblick, dass jene schwarze Flüssigkeit, die das Messer befleckte, auch an ihren Händen klebte.
    »Wo ist Vater?« Vorsichtig trat er einen Schritt näher, weiter in den Raum hinein. Es war warm. Warm und behaglich. Aber er konnte den Blick nicht von der Klinge des Messers lösen, und von den schwarzen Flecken, die in Wahrheit gar nicht schwarz waren.
    Das Lächeln seiner Mutter wurde heller. Strahlender.
    »Ich bin so glücklich, dass du uns erlöst hast. Uns alle drei. Jetzt können wir endlich frei sein!«
    Ein Windstoß fegte jaulend um die Hausecke. Der Fensterrahmen klapperte, die schweren Vorhänge bauschten sich im Luftzug, als seien sie nichts als leichte Seidenschleier. Ein Schatten bewegte sich vor dem Fenster, zog Jaris Blick wie magisch an. Ein Schatten, riesengroß, wie ein gewaltiges Raubtier…
    Ein Keuchen brach Jaris Kehle hinauf, brannte in seinen Lungen, ohne dass er sich selbst hätte hören können. Er stürzte zum Fenster, riss den Vorhang beiseite– und fand sich plötzlich mitten auf dem Hof im strömenden Regen wieder. Kein Treppenhaus. Keine Tür hinter ihm, und auch nicht das Fenster oder die Küche. Nur farblose Tropfen, lang gestreckt wie Bindfäden, die aus einem farblosen Himmel fielen. Schwarz und weiß, dazwischen verschmiertes Grau. Die hellen Töne zu hell, die dunklen zu dunkel, mit ausgefransten Rändern, wie ein Foto mit schlechter Auflösung. Nur die Plastikostereier in der Krone des Ahorns leuchteten so grell, dass die bunten Flecken in den Augen stachen. Sie schwankten im Wind hin und her. Hin und her. Hin und her.
    Ein Schatten fiel auf Jari, und wie ein Blitz durchfuhr ihn der Gedanke an die Gestalt, die er hinter dem Vorhang gesehen hatte. Aber als er nach oben sah, hinauf zum Fenster, hinter dem die Küche liegen musste, war dort

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