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Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
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Sichtweite befand. Stattdessen erstreckte sich zu allen Seiten noch immer die Ebene, in der der kahle Baum in der Ferne der einzig feste Punkt zu sein schien.
    Geh weg! Du gehörst nicht hierher!
    Er wusste nicht, ob es eine Stimme aus seiner Erinnerung oder die Worte der Kinder vor ihm waren, die in seinem Kopf hohl und blechern widerhallten. Aber er dachte auch nicht lange darüber nach. Er durfte hier nicht sein, so viel war klar. Also drehte Jari sich auf dem Absatz um und rannte los, wieder auf die Ebene hinaus und auf den Baum in der Ferne zu. Er wusste nicht, warum sein Instinkt ihn dorthin trieb. Aber er wusste, er musste ihn erreichen, ebenso wie ihm klar war, dass Svea und die gespenstischen Kinder die Verfolgung aufgenommen hatten. Ihre Stimmen klangen noch immer in seinem Kopf, und er hörte ihre Schritte im feuchten Gras rascheln.
    Du darfst hier nicht sein! Dies ist m e i n Land!
    Jari sah nicht mehr zurück. Er rannte nur noch. Viel zu langsam kam er dem Baum näher, und die ganze Zeit über hatte er das Gefühl, kalten Atem im Nacken zu spüren. Die letzten Schritte stolperte er mehr, als dass er lief. Endlich spürte er die Rinde des Baumes unter seinen Fingern, als er beinahe dagegen fiel, weil er seinen eigenen Schwung nicht unter Kontrolle bekam. Keuchend sah Jari über die Schulter. Die Kinder waren immer noch hinter ihm, er konnte ihre Silhouetten sehen, wie sie sich näherten– langsam, aber stetig. Sie wussten genau, wo er war. Der Vorsprung, den er sich erlaufen hatte, würde ihm nicht lange nützen. Hier gab es weit und breit nichts, und er würde es niemals schaffen, auf den Baum zu klettern. Die untersten Äste befanden sich etliche Meter außerhalb seiner Reichweite.
    Jari hatte keine Ahnung, was ihn erwartete, wenn die Kinder ihn in die Finger bekamen, aber er wollte es auch lieber nicht herausfinden. Was sollte er tun?In diesem Augenblick wünschte er sich nichts mehr, als einfach mit dem Baum verschmelzen zu können. Eins mit dem mächtigen Stamm zu werden, in den sicher fünf oder sechs von seiner Sorte hineingepasst hätten, vielleicht sogar noch mehr.
    Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als er das Klingen wieder hörte, wie das Klirren von Weingläsern im Schrank. Jener unheimliche Laut, der den Himmel erschütterte und die Welt für etliche Sekunden zittern ließ wie Espenlaub.
    Und dann fiel er einfach in den Baum hinein.
    Er hatte kaum Zeit, erschreckt zu sein, oder auch nur überrascht. Von einem Wimpernschlag zum nächsten war das Grasland verschwunden und mit ihm die Kinder. Dichte Schwärze umgab ihn. Eine Schwärze, die warm war und zu atmen schien– bis Jari erkannte, dass es sein eigener Atem war, den er hörte.
    Von draußen erklang kurz darauf das Geräusch etlicher kleiner Hände, die an den Baum klopften, an der Rinde kratzten. Stimmen, die wisperten und zischten, ohne dass er verstehen konnte, was sie sagten. Aber Jari wusste, er war in Sicherheit. Sie würden hier nicht hereinkommen, egal wie sehr sie sich anstrengten. Der Baum würde ihn schützen. Erschöpft ließ er sich auf den Boden sinken. Er konnte nicht sehen, worauf er gerade lag, aber es war einigermaßen weich und nicht völlig ungemütlich. Er konnte nicht mehr. Nicht einen Schritt, nicht einen Gedanken weiter. Nur verschwommen trieb die Sorge an die Oberfläche seines Bewusstseins, dass es vielleicht nicht besonders klug war, hier einzuschlafen, in dieser verbogenen, seltsamen Welt, von der er immer weniger sicher war, ob sie wirklich sein eigenes Inneres sein konnte. Wer wusste denn, wo er beim nächsten Mal aufwachen würde? Nein, er durfte nicht schlafen. Aber ausruhen, das musste er dringend.
    Und so blieb er liegen, während von draußen unentwegt das Kratzen und Wispern zu ihm hereindrang, sich mit seinem Atem vermischte und ihn in einem dumpfen Dämmerzustand zurückließ, bis endlich, endlich die Nacht vorüberging.
    ***
    Zu Neles Glück dauerte es nicht besonders lange, ehe sie vom anderen Ende des Sofas ein leises Schnorcheln hörte, das ihr sagte, dass Mommi weit vor Ende des Films– Frodo und seine Freunde hatten kaum Elronds Rat erreicht– felsenfest eingeschlafen war. Kein Wunder, nach dem Berg an Essen, den sie verputzt hatten. Und es war immer noch reichlich übrig. Nele fühlte sich ganz aufgebläht. Aber im Gegensatz zu ihrer Mutter war sie nicht müde. Kein bisschen.
    Sie wartete vorsichtshalber, bis Gandalf mit dem Balrog in die Schlucht gestürzt war, dann stand sie

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