Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)

Titel: Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Beer
Vom Netzwerk:
verglichen mit Monstern auf Kühlerhauben.
    »Sie haben das Gelände bis auf Weiteres abgesperrt«, erklärte Mommi. »Das haben sie eben im Radio gesagt. Über die kaputte Straße kann ja sowieso niemand mehr fahren. Da bin ich mal gespannt, wie du morgen zur Schule kommst.«
    Nele nickte. »Oh ja. Ich auch.« Und das nicht nur wegen der kaputten Straße. Aber das sagte sie nicht laut. Sie musste unbedingt Seth finden. Was passiert war, musste etwas mit Jari zu tun haben! Da war Nele sich ganz sicher. Und wer sonst sollte ihr auch sagen können, was genau da eigentlich abging? Einmal ganz davon abgesehen, dass Seth in der Nacht mitten in all dem Chaos gewesen sein musste. Wenn ihm nun etwas passiert war?
    Sie stand auf. »Ich glaube, ich sehe mir das mal aus der Nähe an.«
    Ihre Mutter hob überrascht den Kopf. »Jetzt sofort? Also, ich muss ja zugeben, ich bin auch neugierig. Aber du hast doch noch nicht mal gefrühstückt. Wir könnten doch nachher zusammen rüberfahren, was denkst du?«
    Hastig schüttelte Nele den Kopf. So lieb sie Mommi auch hatte, wenn sie Seth suchen ging, wollte sie sie auf gar keinen Fall dabeihaben.
    »Nein, schon gut«, erklärte sie schnell. »Ich wollte die Mädels aus der Foto- AG anrufen.«
    Mommi seufzte. »Schon verstanden, dann bin ich aus dem Spiel. Und das Frühstück?«
    »Ich nehme mir Brote mit.« Nele griff nach dem unangetasteten Joghurt, stellte ihn zurück in den Kühlschrank und griff stattdessen nach der Butter und der Wurstdose. Sie hatte ja wirklich Hunger. Aber so, wie die Dinge lagen, ging der Besuch der Kreuzung weit über ein erzwungen normales Sonntagsfrühstück. Ganz ohne Zweifel.
    ***
    Er hatte einfach weitergemacht.
    Zuerst war es nur ein Ablenkungsmanöver, nur eine Beschäftigung, die ihn daran hinderte, sich länger den Kopf darüber zu zerbrechen, warum die Gesichter seiner Eltern in seiner Erinnerung fehlten– und was ihm wohl noch entglitten war, ohne dass er es bemerkt hatte. Wenn er sich darauf konzentrierte, seine Umgebung zu perfektionieren, konnte er das Gefühl von Gefahr beiseiteschieben, und auch das bedrohliche Prickeln in seinem Nacken rückte in den Hintergrund. Aber irgendwann, ohne dass es ihm wirklich bewusst wurde, hatte Jari tatsächlich ganz aufgehört, darüber nachzudenken. Stattdessen hatte er wie ein Besessener weiter daran gearbeitet, seine Wohnung einzurichten. Sie mit Wünschen zu füllen, die ihm selbst in seinen wildesten Träumen immer viel zu fern erschienen waren. Ein Swimmingpool mit eigener Cocktailbar war erst der Anfang, auch wenn Jari dafür eine Hintertür in die Küche einsetzen musste, die dort nie existiert hatte. Das kostete ihn einige Überwindung, als gebe es in seinem Kopf eine Grenze, die zu übertreten er sich instinktiv fürchtete. Aber als er diesen Schritt dann schließlich doch gewagt hatte, war alles Weitere geradezu erschreckend leicht. Ein Gedanke führte zum anderen, ein Wunsch zum nächsten. Und warum sollte er sich überhaupt an die Grenzen einer normalen Wohnung halten, wenn doch so viel mehr möglich war? Er konnte ganze Palastsäle bauen– was er nicht tat, weil ihn so viel Prunk gar nicht besonders reizte. Stattdessen erschuf er Treppen, die in riesige Grotten hinaufführten, wo Regenbögen auf Wasserfällen tanzten. Einen Wald ganz aus Glas, dessen Blätter leise klingelnd zarte Melodien sangen, mit einer Lichtung, von der aus sich eine Tür direkt ins Weltall öffnete. Ein altmodisches Musikzimmer voller Porzellanpuppen, wo ein Cello und ein Klavier bittersüße Melodien spielten; und direkt dahinter eine Wunderkammer, in der eine Menagerie der unglaublichsten Kreaturen versammelt war. Moosriesen, Nymphen, Basilisken und Riesenspinnen– ein Anblick, der Jari, als er mit staunenden Augen hindurchwanderte, einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Aber er hatte keine Angst. Hier geschah alles nach seinem Willen. Nichts konnte ihm schaden.
    Irgendwann hatte er sogar aufgehört, bewusst die Dinge zu gestalten, die er sehen wollte. Es war doch viel spannender, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen und zu beobachten, was sein Unterbewusstsein für Wunderwerke errichten konnte, um sie dann ausführlich zu erkunden, ehe er eine neue Tür errichtete. Sich neugierig zu fragen, was wohl dahinter liegen mochte, und sie dann mit geschlossenen Augen zu durchschreiten. Alles war neu und aufregend und zugleich vertraut, weil es aus ihm selbst wuchs. Er war Teil dieser Welt und sie zugleich Teil von

Weitere Kostenlose Bücher