Wenn die Nacht in Scherben fällt (German Edition)
ihm.
Und darum erschreckte Jari sich auch so, als er einmal mehr einen neuen Raum betrat und ihn plötzlich etwas angriff.
Zuerst spürte er nur einen Luftzug, wie von einer sehr schnellen Bewegung, hörte ein leises Fauchen– und mit einem Mal fühlte sich alles fremd an.
Jari riss die Augen auf und starrte für einen Sekundenbruchteil in die Schatten und das Silberlicht des ungeformten Raumes, ehe er sich instinktiv zur Seite warf. Etwas zischte an ihm vorbei, ein Schatten, ungefähr menschengroß. Hastig rappelte Jari sich auf und griff nach einem ziellos umhertreibenden Fetzen Licht. Er hoffte, dass es sich in etwas verwandeln würde, das ihn irgendwie schützte– und im nächsten Moment hielt er ein Schwert in der Hand. Ein Schwert! Jari packte den Griff mit beiden Händen und hielt die Klinge vor sich. Eine tödliche Waffe, ohne Zweifel. Nur hatte er keinen Schimmer, wie er damit umgehen sollte.
Nicht weit von ihm erklang ein Knurren. »Hör sofort damit auf!«
Vergeblich versuchte Jari, die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen. »Wer bist du?«
Seine Stimme klang krächzend und dünn, als hätte er sie seit Jahren nicht benutzt. Und vielleicht hatte er das auch nicht. Wie hätte er sagen sollen, wie lange er schon in seinem neuen Reich umherstreifte? Er hatte längst kein Zeitgefühl mehr, wenn er überhaupt jemals eins besessen hatte. Eins aber wusste Jari genau: Er war seit der Begegnung mit Svea und den Kindern auf dem Spielplatz keiner Menschenseele mehr begegnet. Die Rinde seines Baumes beschützte ihn! Hier konnte doch nichts und niemand hereinkommen!
Und doch war jemand– oder etwas– ganz in seiner Nähe. Jari konnte dieses Wesen atmen hören. Und es war nichts, was er geschaffen hatte, auch nicht unabsichtlich.
Verzweifelt hielt er Ausschau nach weiteren Lichttropfen, aber sie verblassten bereits, ohne eine Form angenommen zu haben. Bald würden sie ganz verloschen sein. Ich muss hier weg, dachte Jari in einem Anflug von Panik. Eine Tür! Ich brauche eine Tür!
Das Silberlicht leuchtete auf, und quälend langsam schälten sich die Umrisse eines Türrahmens aus den Schatten. Jari wollte schon aufatmen– da traf ihn etwas hart vor die Brust und schleuderte ihn rücklings zu Boden. Das Schwert fiel ihm aus der Hand und schlitterte klirrend über einen Untergrund, den Jari noch immer nicht sehen konnte. Der Aufprall drückte ihm den Atem aus den Lungen, und für einen Moment konnte er sich nicht bewegen. Lang genug, dass der Angreifer ihm einen Fuß auf die Brust setzen konnte. Über Jari glühten zwei gelbe Augen in der Dunkelheit.
»Ich habe gesagt, du sollst damit aufhören!«
Die Stimme war nur ein tiefes Grollen. Dennoch konnte Jari jetzt erkennen, dass sie weiblich war. Was sie allerdings nicht weniger bedrohlich machte.
»Aufhören womit?«, brachte er hervor. »Was willst du von mir? Wer bist du?«
Die Augen blinzelten. Eine kleine Weile war es still.
»Wenn du dich nicht völlig verlieren willst«, sagte die Stimme dann, »dann erschaffst du ab sofort keine weiteren Träume mehr. Nicht einen, hast du verstanden?«
Jari schluckte mühsam. »Träume erschaffen?«, wiederholte er schwach.
Ein zustimmendes Knurren ertönte. »Gibt es einen Ort hier, wo wir in Ruhe reden können?«
Reden? Das Wesen war gekommen, um mit ihm zu reden? Beinahe hätte Jari gelacht. Aber es kam nur ein trockenes Husten heraus. Auf einmal fühlte er sich unglaublich erschöpft. Am liebsten wäre er auf der Stelle einfach eingeschlafen.
»Wohnzimmer«, krächzte er.
Der Fuß verschwand von seiner Brust. Kräftige Hände packten ihn unter den Schultern und zogen ihn in die Höhe, bis er auf wackeligen Beinen stand. Dann öffnete sich eine Luke in der Finsternis. Helles Sonnenlicht fiel herein, und Jari kniff geblendet die Augen zusammen.
Ein zufriedenes Brummen erklang neben ihm. »Einverstanden. Also. Kommen wir erst mal zur Ruhe.«
In dem Wohnzimmer zu sitzen, das er sich vor einer gefühlten Ewigkeit eingerichtet hatte, kam Jari so vor, als würde er aus einem sehr langen, sehr wirren Traum aufwachen. Noch ganz benebelt lag er mehr in den Polstern, als dass er saß, und wünschte sich nichts mehr als eine Flasche eisgekühlter Cola. Aber er wagte nicht, aufzustehen und in die Küche zu gehen, und das nicht nur, weil er fürchtete, seine Beine würden ihn nicht tragen. Was ihn noch viel eindrücklicher davon abhielt, war die Frau, die sich ihm gegenüber in einen Sessel gehockt hatte. Die Frau,
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