Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
sind. Dass es an den Weihnachtsfesten nicht auf die Menge der Geschenke, sondern auf das Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Familie ankommt.
Tante Sabine liebte Kinder und sie sagte immer: ‚Ein Kind ist wie eine Blume. Es braucht genügend Wasser, Nahrung und Licht, um sich wohlzufühlen.‘
Anfang November geschah etwas Unvorhergesehenes, was ich nicht begreifen konnte. Meine Eltern wollten sich scheiden lassen! Nach zweiundzwanzig Jahren Ehe wollten sie sich scheiden lassen!
Ich war sprachlos und entsetzt, aber es gab kein Geschrei und Gezänk. Ich kann mich nur an eine einzige lautstarke Auseinandersetzung zwischen meinen Eltern erinnern, als mein Vater einen Brotlaib, den meine Mutter gebacken hatte, auf den Küchenfußboden pfefferte. Zugegeben, er war steinhart und hätte eine erstklassige Mordwaffe abgegeben. Sie hatte die Hefe vergessen und ihn über viereinhalb Stunden im Ofen gelassen.
Papa wollte nach Österreich zurückgehen und ich sollte ihn begleiten. Ich war ein Papakind und ich liebte meinen Vater, aber ich war achtzehn. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen.
Mama verpachtete das Gasthaus und begann in dem Pflegeheim zu arbeiten, wo Tante Sabine tätig war. Dort half sie in der Küche. Ihr gefiel die Arbeit und sie kam mit den Angestellten dort gut zurecht.
Die Zeit rückte voran und ich musste Mama sagen, dass ich bald nach Hamburg gehen würde. Ich hatte Angst vor diesem Gespräch, denn ich wusste nicht, ob sie wütend oder traurig sein würde.
In jungen Jahren war Mama oft jähzornig gewesen und es war nicht selten gewesen, dass sie sich vergessen und mich verprügelt hatte. Manchmal schlug sie mich bei der kleinsten Gelegenheit. Einmal zerbrach ich aus Versehen eine blaue gepunktete Tasse. Dafür bekam ich zwei Ohrfeigen und zehn Tage Stubenarrest.
Wenn Mama so böse war, hasste ich sie regelrecht, aber dann, wenn sie sich entschuldigte, verzieh ich ihr sofort wieder. Ich fragte mich nur, wie kann ein Mensch so wütend werden und es dann nachher bereuen?
An einem Tag hatte ich mir vorgenommen, Mama von Hamburg zu erzählen. In drei Tagen musste ich kündigen, um rechtzeitig von der Firma frei zu sein, in der ich arbeitete.
Ich fuhr am Nachmittag nach Bad Tölz und besorgte eine gute Flasche Wein für den Abend. Unterwegs traf ich Anett. Sie sah verweint aus und wirkte ganz zerstreut.
„Luisa, ich kann nicht mitkommen nach Hamburg“, sagte sie weinend.
„Mein Papa hatte einen Arbeitsunfall, er liegt im Krankenhaus. Ich kann meine Mutter jetzt nicht allein lassen.“
Ich war schockiert. „Was ist denn passiert?“, wollte ich wissen.
Anett berichtete mir, dass ihr Vater bei der Arbeit unter eine Maschine gekommen war, der rechte Fuß wäre abgeschnitten und sein Zustand wäre wegen des hohen Blutverlustes kritisch.
Traurig ging ich nach Hause. Allein wollte ich auch nicht nach Hamburg ziehen. So sagte ich am nächsten Tag meine Arbeitsstelle in Hamburg ab. Anett hatte schon im Handelshaus angerufen.
Papa zog nach Österreich und ich hörte lange Zeit nichts von ihm. Nach Papas Weggang war Mama plötzlich eine andere geworden. Sie begann sich modern anzuziehen und fuhr abends öfter mit Tante Sabine nach Rosenheim. Mama war jetzt zweiundvierzig, aber sie sah bedeutend jünger aus. Eines Abends, nach dem Essen, kam sie mit der Sprache heraus. Tante Sabine war zum Essen gekommen und jetzt saßen wir alle auf der warmen Terrasse und tranken Wein.
„Ich bin verliebt!“, teilte uns Mama mit.
Wir starrten sie fragend an.
„Er heißt Gabriel Wengerle.“
Oh je. Plötzlich sollte ich Mama mit einem Typ teilen, der jede Menge Sommersprossen hatte und zu allem Überfluss auch noch ein extremer Kirchgänger war. Er war in einer kirchlichen Sekte tätig und engagierte sich dort stark. Und Mama trat dieser Sekte auch bei.
Danach ging alles sehr schnell. Mama und Gabriel heirateten und ich hatte große Schwierigkeiten damit, den neuen Mann an ihrer Seite zu akzeptieren. Wir waren wie Hund und Katze.
Gabriel hatte keine eigenen Kinder, und so war es für ihn bestimmt nicht leicht, sich plötzlich mit einer großen Tochter konfrontiert zu sehen, deren Eifersucht keine Grenzen kannte.
Mama widmete sich von jetzt an in ihrer Freizeit nur der Kirche. Sie sammelte Spenden und veranstaltete Solidaritätsfeste und sie organisierte Feste für heimatlose Kinder.
Tante Sabine mochte Gabriel nicht besonders, aber später, als sie ihn näher kennenlernte, änderte sich ihr Verhältnis zu
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