Wenn Die Seele Verletzt Ist
der das Kind nicht nur auf eine fremde Umgebung, sondern auch auf eine kurze Trennung von der Mutter und auf eine fremde Person reagieren muß. Dazu wird es von seiner Mutter in einen ihm fremden Raum gebracht, in dem es verschiedenes interessantes Spielzeug gibt. Nach einer Weile betritt eine fremde Frau den Raum und spricht kurze Zeit mit der Mutter. Danach verabschiedet sich die Mutter vom Kind und verläßt den Raum. Die fremde Frau macht dem Kind Trost- und Spielangebote. Nach wenigen Minuten kommt die Mutter wieder und die fremde Frau geht hinaus. Nach weiteren Minuten verläßt die Mutter wortlos das Zimmer und kehrt nach spätestens drei Minuten, wenn das Kind sehr aufgeregt ist, auch früher, wieder zurück. Die Reaktionen der Kinder wurden erfaßt und konnten auf Grund ähnlicher Verhaltensmuster verschiedenen Kategorien zugeordnet werden.
Mary Ainsworth unterschied vier Bindungsstile: den sicher gebundenen, den unsicher vermeidenden, den unsicher ambivalenten und den desorientierten Bindungsstil.
Sicher gebundene Kinder, nach der Studie immerhin 60 bis 70% aller Untersuchten, verhalten sich der ungewohnten Situation gegenüber neugierig Sie können durchaus eine Zeitlang ohne die Mutter sein, begrüßen diese aber nach ihrer Rückkehr begeistert. Sowohl Autonomie wie Bindung sind diesen Kindern vertraut. Diese Erfahrung konnten die inzwischen Erwachsenen in ihren Partnerschaften nutzen. Ein sicher gebundener Mensch kann anderen gefühlsmäßig nahe sein. Er weiß, daß er in einer intimen Beziehung von seiner Partnerin und sie von ihm abhängig ist. Gleichzeitig kann er aber auch gut für sich allein sein und gesteht dies natürlich auch seiner Partnerin zu. Er ist in seinem Selbstwert nicht davon abhängig, daß andere Menschen immer seiner Meinung sind.
Unsicher vermeidende Kinder machten etwa 15 - 20% aller Untersuchten aus. Sie ignorierten die Mutter und wandten sich demonstrativ anderen Dingen zu. Wenn die Mutter das Zimmer verließ, folgten sie ihr nur mit den Augen, um sich beim Wiedersehen wieder von ihr abzuwenden. Das Kind war sich der Zuneigung seiner Mutter nicht sicher und fühlte sich überwiegend abgelehnt. Als Erwachsener neigt deshalb der unsicher vermeidend gebundene Mensch ebenfalls dazu, nahe Beziehungen abzulehnen oder abzuwerten, indem er Nähe bewußt vermeidet. Er strebt vor allem nach seiner Unabhängigkeit, weil er so am wenigsten verletzt werden kann. Daß andere von ihm abhängig sind, ist ihm ebenso zuwider. Hermann Hesse hat diesen Bindungsstil in seinem Roman „Steppenwolf“ treffend beschrieben. Unsicher ambivalent gebundene Kinder machten 10 - 15% der Untersuchten aus. Ängstlich blieben sie in der Nähe der Mutter und verzweifelten, wenn sie von ihr getrennt wurden. Beim Wiedersehen konnten sie plötzlich sehr wütend auf die Mutter reagieren und sich heftig gegen sie wehren. Sie befanden sich in einem Wechselbad der Gefühle, in dem sie sich der Liebe ihrer Mutter nie ganz sicher waren. Gleichzeitig waren sie wütend auf die Mutter, die sie solchen Empfindungen aussetzte. Dem unsicher ambivalent gebundenen Erwachsenen fällt die Abnabelung von seiner Ursprungsfamilieschwer. Er ist noch mit seinen Eltern und Geschwistern verstrickt, klammert sich aber verzweifelt an neue Bindungspersonen, auf die er, seinem Kindheitsmuster gemäß, gleichzeitig wütend ist. Seine große Sehnsucht nach einer engen Beziehung wird selten erfüllt, sei es, daß er treffsicher Partner findet, die Angst vor Nähe haben, oder daß er selbst der angebotenen Nähe zutiefst mißtraut.
Die desorientiert oder desorganisiert gebundenen Kinder machten glücklicherweise nur 5 - 10% der Untersuchten aus. Diese Kinder konnten sich überhaupt nicht orientieren und schienen sich in keiner Weise auf ihre Bezugspersonen verlassen zu können. Sie wirkten häufig verstört und/oder verängstigt. Ihre Geschichte zeigte, daß sie früh verlassen, vernachlässigt und/oder körperlich oder sexuell mißhandelt worden waren. Sie zeigten klar, daß sie sich vor ihrer Bezugsperson fürchteten. Manchmal reagierten sie überhaupt nicht auf das Wiedereintreffen der Bezugsperson. Sie hatten weder ein funktionsfähiges Beziehungsmodell noch Einfühlungsvermögen gelernt. Als Erwachsener bemüht sich der Betroffene in Beziehungen vor allem darum, die Kontrolle zu behalten. Dies geschieht entweder „feindselig bestrafend oder tröstend fürsorglich – dies aber stets in kontrollierender Absicht“ (Huber, S. 94).
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