Wenn Die Seele Verletzt Ist
Traumaopfer vor allem von Amygdala gesteuert, und Amygdala blockiert die Möglichkeit, sich verbal auszudrucken. Schwer Traumatisierte greifen deshalb zu anderen Mitteln, um auf ihre Notlage aufmerksam zu machen: sie inszenieren die traumatische Situation.
Dies geschieht natürlich nicht in dem Sinne, daß sich die Betroffenen bewußt ein Drehbuch zurechtlegen. Sie gestalten vielmehr unbewußt ihr Alltagsleben so, daß sie darstellen, was mit ihnen passiert ist oder was gerade noch geschieht. Wenn eine Frau als Kind mißbraucht wurde oder wenn ihr als Erwachsene Gewalt angetan wird, präsentiert sie ihre Sexualität möglicherweise in Situationen, in denen dieses Verhalten völlig unangemessen ist. Sie zeigt damit einerseits, daß es sich um ein Problem handelt, in dem Sexualität eine Rolle spielt, andererseits, daß jemand unangemessen mit ihrer Sexualität umgeht.
Eine unserer Klientinnen sucht zum Beispiel immer wieder Kontakt zu einem Mann, der sie seelisch und körperlich erniedrigt. Obwohl sie weiß, daß ihr dieser Mensch überhaupt nicht guttut, geht sie zu ihm und zeigt durch diese Inszenierung, wie ihr Vater sie behandelte. Erst wenn sie sich vollständig seiner Gewalt auslieferte, konnte sie ihn gnädig stimmen, und er zeigte ihr vielleicht, daß er sie liebte.
Die Menschen, die als Kinder die traumatisierende Seite ihrer Eltern vollständig abspalten mußten und Vater und Mutter statt dessen idealisieren, inszenieren dieses Muster ebenfalls in ihren Beziehungen. Sie übertragen die Abspaltung auf alle Menschen, indem sie den anderen entweder idealisieren oder ihn, wenn er diesem Ideal nicht genau entspricht, in Bruchteilen von Sekunden plötzlich zum Feind erklären. Damit zeigen sie genau das, was mit ihnen geschehen ist: Die gute Mutter wurde im Bruchteil von Sekunden zur schlagwütigen Bestie, der liebe Papa genau so rasch zum gewalttätigen Monster. Menschen mit dem Borderline-Syndrom sind bekannt dafür, dieses Beziehungsmuster immer wieder zu inszenieren.
Menschen, die an einer Zwangserkrankung leiden, setzen unserer Meinung nach ebenfalls häufig ihr Trauma in Szene. So litt ein junges Mädchen an dem Zwang, ihrer Mutter immer alles zeigen zu müssen. Gleichzeitig hatte sie heftige Unterbauchschmerzen, ohne daß eine körperliche Ursache zu ermitteln war. Mit ihrer Zwangssymptomatik und mit ihren Schmerzen demonstrierte das Mädchen ihr Trauma und gleichzeitig den Befehl des Stiefvaters, den sexuellen Mißbrauch keinesfalls zu verraten. Da es etwas zu zeigen gab, zeigte sie ihrer Mutter alles andere, nur nicht das, was sie ihr eigentlich klarmachen wollte und worauf die Bauchschmerzen hinwiesen – das sich jede Nacht wiederholende Trauma.
Inszenierungen kann man wie Triggersituationen daran erkennen, daß sich Menschen bizarr oder nicht angemessen verhalten. Immer wenn sich Menschen freiwillig in Situationen begeben oder Handlungen ausführen, die ihnen überhaupt nicht guttun, können wir davon ausgehen, daß wir es mit einer Inszenierung zu tun haben. Im Gegensatz zur Triggersituation müssen die Betroffenen dabei emotional nicht aufgewühlt sein. Sie können völlig ruhig sein oder sich sogar provokant zeigen. Hinter dieser Fassade stehen indes ganz andere Gefühle, die von den Betroffenen selbst nicht wahrgenommen werden.
Häufig machen diese Darstellungen sogar die Therapeuten wütend, da das bizarre Verhalten nicht gleich als Inszenierung erkannt wird. So erzählte eine Therapeutin von ihrer Klientin, die grundsätzlich nicht zu den vereinbarten Terminen erschien, sondern immer dann auftauchte, wenn sie überhaupt keine Zeit für sie hatte. Erst als sie das Tun ihrer Klientin als Inszenierung begriff – die Klientin zeigte ihr, daß sie sich nie und nirgendwo willkommen gefühlt hatte –, konnte sie therapeutisch damit umgehen. Wenn uns also die Handlungen unserer Klienten aufbringen oder ärgern, sollten wir die Möglichkeit einer Inszenierung ins Auge fassen.
Mit ihrem Tun, das ihre Mitmenschen verärgert, isolieren sich die Traumaopfer. Viele betäuben sich mit Drogen oder Alkohol oder entwickeln ernsthafte psychische Symptome. Allein können sie den Teufelskreis aus Inszenierung und Isolation nicht durchbrechen. Erst wenn sie mit therapeutischer Begleitung verstehen, was sie zu zeigen versuchen, kann der Ausstieg aus dem Drama gelingen.
Symptome auf Grund einer Traumatisierung
Lassen Sie uns jetzt jene Verhaltensweisen kennenlernen, die diejenigen entwickeln,
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