Wenn Die Seele Verletzt Ist
werden, und daß man nicht wirklich glücklich ist, hat ebenfalls einen entscheidenden Vorteil: Man kann nie mehr so tief abstürzen wie damals, als das Trauma geschah.
Die Vorwegnahme des Schrecklichen ist nicht auf die Partnerschaft begrenzt. Häufig sind Menschen, die einen Krieg erlebt haben, gewohnheitsmäßigpessimistisch und machen sich viele Sorgen. Auch Existenzängste können der Abwehr einer erneuten Traumatisierung dienen. Wenn sie wirtschaftlich unbegründet sind, deuten diese Ängste darauf hin, daß es eine reale Bedrohung der Existenz gegeben haben muß, sei es in materieller oder physischer Hinsicht. Solche Ängste können Kinder auch von ihren Eltern übernehmen, die möglicherweise im Krieg ihr Hab und Gut oder viele Familienangehörige verloren haben.
Auch Angstzustände dienen der Traumaprophylaxe. So treten Ängste vor schweren Erkrankungen häufig nach plötzlichen Todesfällen oder nach traumatischen Erlebnissen in Zusammenhang mit Krankheiten auf. Ich erinnere mich an eine Klientin, die ihr hoch fieberndes Kind im Krankenhaus untersuchen lassen wollte. Noch bevor der Arzt den Jungen wirklich angeschaut hatte, sagte er: „Ich weiß gar nicht, ob der morgen überhaupt noch lebt!“ Das Kind überlebte, doch die Mutter litt seitdem an Krebsangst. Sie nahm täglich das Schrecklichste vorweg, um sich vor einem erneuten Schock zu schützen. Als sie den Zusammenhang mit der seelischen Mißhandlung durch den Arzt erkannte, gaben sich ihre Ängste.
Trigger
Ein Trigger (engl. Auslöser) ist eine Art Erinnerungsmolekül, das die Verbindung zu einem traumatischen Ereignis herstellt. Er wirkt wie ein kleiner Klöppel, der die große Traumaglocke zum Klingen bringt. Der Trigger erinnert den Betroffenen an sein Trauma, ohne daß ihm das bewußt ist. Dabei spielt es keine Rolle, wieviel Zeit zwischen Trauma und Triggersituation verstrichen ist; alle Emotionen, die in der traumatischen Situation gefühlt wurden, werden durch den Trigger wachgerufen. Der Betroffene befindet sich plötzlich in genau demselben Zustand wie zu dem Zeitpunkt, als das Trauma geschah.
Ein Trigger muß dem Trauma nicht ähnlich sein. Es genügt, daß einzelne Bestandteile des Traumas wie Gerüche, Töne oder Gefühle in der gegenwärtigen Situation anklingen. Da Trauma immer von äußerst heftigen Gefühlen begleitet wird, können Gefühle selbst zum Trigger werden. Es könnenaber auch Eindrücke sein, die mit dem Trauma direkt nichts zu tun haben, sich aber im Umfeld des Ereignisses befanden wie zum Beispiel bestimmte Farben, bestimmte Pflanzen oder eine besondere Jahreszeit.
Dazu ein Beispiel:
Eine Klientin haßte den Geruch von Tannennadelschampoo oder Latschenkiefernöl. Sobald sie mit diesem Duft konfrontiert sei, müsse sie mit heftigem Brechreiz und dem Impuls zu flüchten kämpfen. Es war ihr deshalb unmöglich, eine Sauna zu besuchen, weil in den meisten Saunen Öle mit dieser Duftnote in den Aufguß gegossen werden. Sie selbst empfand ihr Verhalten als blödsinnig und sah darin wieder einmal einen Beweis für ihre Wertlosigkeit. Ich erkannte, daß der Geruch von Tannennadeln sie antriggerte. Im Laufe der Therapie kam heraus, daß sie als kleines Kind von ihrem Vater in einem Tannenwald sexuell mißbraucht worden war. Der Geruch von Tannennadeln erinnerte sie ganz automatisch an die brutale sexuelle Gewalt. Jetzt verstand sie sowohl den Brechreiz wie ihr Fluchtbedürfnis.
Auch Kommunikationsformen können zu Traumatriggern werden, vor allem aber der Doublebind. Beim Doublebind werden auf zwei unterschiedlichen Kommmunikationsebenen – der verbalen und der nonverbalen Ebene – widersprüchliche Botschaften ausgesandt. Dies löst größte Verwirrung aus. Lange glaubten die Experten, daß nur in Familien mit psychotischen Mitgliedern Doublebinds gebraucht werden. Heute wissen wir, daß dieses Kommunikationsmuster in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft große Schäden anrichtet. Doch dieses Thema ist so komplex, daß es in einem eigenen Buch behandelt wird.
Da Triggersituationen die Betroffenen in ihr Trauma zurückkatapultieren, werden dieselben biochemischen Reaktionen wie damals ausgelöst. Amygdala übernimmt die Steuerung, was heißt, daß ein getriggerter Mensch seine Reaktionen nur bedingt, wenn überhaupt, kontrollieren kann. Er ist sich selbst und seinen heftigen Gefühlen völlig ausgeliefert. Die Umwelt reagiert meist verständnislos, weil die reale Situation und die Heftigkeit der Reaktion
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