Wenn die Wahrheit nicht ruht
„Du hattest Recht. Es war tatsächlich Zeit dem Leiden ein Ende zu setzen.“ Er hauchte einen Kuss auf ihre Nasenspitze, dann stand er auf und machte sich auf die Suche nach seiner Hose. Leonie rollte sich auf die Seite und stützte sich auf den Ellbogen. Etwas schläfrig sah sie ihm nach und bewunderte seine ausgeprägte Schultermuskulatur. Allgemein musste sie feststellen, dass dieser Typ nicht ganz ohne war. Nicht nur, dass er ihr soeben im Lager ihres Arbeitsplatzes eines der besten erotischen Erlebnisse ihres bisherigen Lebens beschert hatte, sie ertappte sich auch dabei, wie sie genau die Eigenschaften, die sie noch vor nicht allzu langer Zeit verflu cht hatte, ungeheuer sexy fand.
„Ja, ich denke diese Therapiestunde war ganz gut.“
Er warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Ganz gut?“
„ Dafür, dass es die erste war, schon . Oder glaubst du etwa, du wärst schon geheilt?“ Augenzwinkernd rollte sie sich auf den Bauch und erhob sich.
„Du möchtest einen Nachschlag?“ Er streifte den Pulli über und trat auf sie zu.
„Wenn du das sagst, klingt es nach Vergnügen, aber ich betrachte es als meine Aufgabe, dich zu heilen und so lch ein Prozess ist harte Arbeit.“
Inzwischen standen sie wieder vollkommen angekleidet direkt voreinander und schauten sich herausfordernd an. Dass er auf sie herabsehen konnte, weil sie trotz ihre r Grösse ein ganzes Stück kleiner war als er , animierte sie nur noch mehr. Er streckte schon die Hand nach ihrer Taille aus, als plötzlich ein lautes Knacken zu vernehmen war. Erschrocken stoben die beiden auseinander . Gl eichzeitig öffnete sich die Tür des Lagers.
„Sören!“ Leonies S timme klang schriller als gewünscht. Wie ein ertapptes Schulmädchen zupfte sie an ihrem zerzausten Haar herum, in der Hoffnung, dass man nichts von ihrem unzüchtigen Verhalten be merken möge. Sebastian machte in etwa den ähnlichen Eindruck, nur dass es ihm, nach dem er Sören erkannt hatte , überhaupt nicht mehr darum war, etwas zu ver tuschen . Sören liess den Blick von Leonie zu Sebastian und wieder zurück wandern. „Habe ich euch bei etwas gestört?“
„Oh, nein, nein, wir haben nur den Lieferwagen aus- und das Lager dann aufgeräumt. Aber wir sind fertig. Nicht war?“ Nach Zustimmung heischend sah sie zu Sebastian.
„Klar. Wir sind fertig.“ Noch einmal blickte er sie an und räumte dann das Feld.
Ihr schlechtes Gewissen herunterschluckend sah sie ihm noch kurz nach, bevor sie sich an Sören wandte. „Also, was treibt dich her?“
„Ich habe da etwas in Erfahrung gebracht, das dich interessieren dürfte .“
Mit einem Schlag war die wohlige Leichtigkeit wie weggeblasen und Leonies Kopf wieder klar . Bereitwillig liess sie sich von Sören wegführen.
1986
Händeringend marschierte Verena unaufhörlich den Korridor hinauf und hinunter. Die Operation dauerte nun bereits zwei Stunden und niemand konnte ihr etwas über Marcs Zustand sagen. Leonie lag eingerollt auf einem der Stühle. Sie summte sich selbst ein Lied und starrte ins Leere. Lilli hatte sie nicht holen dürfen, darüber war sie traurig, aber noch viel trauriger war sie darüber, dass ihre Mutter immer zu weint e und Leonies Frage nach ihrem Vater mit einer Handbewegung abtat . U nd immer sagte sie: „Nicht jetzt!“
Einer der Polizisten, die sie gerufen hatte, brachte Verena einen Kaffee und bedeutete ihr, sich hinzusetzen. Der zweite Polizist holte einen Notizblock hervor und setzte sich daneben. Als er Leonie erblickte, nickte er seinem Partner zu, erhob sich wieder und setzte sich neben sie. „H i . Ich bin Peter . Wie heisst du?“
„Leonie.“ Sie bewegte sich keinen Zentimeter, gab aber höflich Antwort.
„Hallo Leonie. Sag mal, möchtest du mir erzählen, was du heute Nachmittag alles erlebt hast?“
Verena, die in Hörweite war, wollte aufspringen, doch der andere Polizist, dessen Nachname gemäss seinem Schild an der Jacke Thommen lautete, hielt sie zurück. „Was tut er d a mit meinem Kind?“, f auchte sie ihn an.
„Er spricht mit ihr. Sie soll zuerst erzählen, was sie gesehen hat, dann kommen Sie an die Reihe. Aber die Kleine muss unserer Meinung nach das Erlebte rauslassen, bevor sie sich ganz verschliesst und zurückzieht. Machen Sie sich keine Sorgen. Niemand macht Ihnen Vorwürfe. Ihre Kleine ist bei meinem Partner in guten Händen. Er hat selbst drei Töchter.“
Obwohl sie nicht einverstanden war, liess Verena den Polizisten gewähren.
Anfangs antwortete
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