Wenn Die Wahrheit Stirbt
der Salat war eine bunte Mischung aus Roter Bete, Karotten, Kichererbsen und hartgekochten Eiern auf Blattsalaten. »Woher kennen Sie dieses Lokal?«, fragte Gemma, nachdem sie den Salat gekostet und festgestellt
hatte, dass sie doch Hunger hatte. Und der Kaffee war köstlich - stark und zugleich mild.
»Oh, ich gehe ab und zu auf den Samstagsmarkt.« Melody tat die Sache mit einem Achselzucken ab, wie üblich nicht gewillt, mehr als das Nötigste über ihr Privatleben preiszugeben. »Das meiste ist inzwischen Touristenkitsch, aber es gibt auch noch ein paar gute Stände. Also, geht es um den Fall Malik?«, wechselte sie rasch das Thema, bevor Gemma sie weiter ausfragen konnte.
Gemma dachte nach, während sie sich noch eine Gabel Salat in den Mund schob. Sie hätte sich so gerne jemandem anvertraut - aber wie viel durfte sie verraten, ohne Kincaids Vertrauen zu missbrauchen?
Und sie war Melodys Chefin, was es noch heikler machte einzugestehen, dass sie einfach blaugemacht und gelogen hatte, als sie gesagt hatte, sie wolle ihre kranke Mutter besuchen - zumal, da sie am allerwenigsten zugeben durfte, dass Kincaid sie dazu angestiftet hatte. Aber andererseits war auf Melody wirklich hundertprozentig Verlass, und sie hatte Gemma noch nie enttäuscht. Wenn es irgendjemanden gab, mit dem sie reden konnte …
»Ich war bei Gail Gilles«, platzte sie heraus. »Sandras Mutter. Ich hätte es nicht tun sollen, und ich kann nicht darüber reden. Ich kann gar nicht dort gewesen sein, verstehen Sie?«
»Okay«, sagte Melody nachdenklich. »Sie waren also nicht dort. Schon verstanden. Und was haben Sie gesehen, als Sie nicht dort waren?«
Gemma schob ihren Salat weg; der Appetit war ihr plötzlich vergangen. »Oh, Melody, sie ist eine schreckliche Frau. Charlotte ist ihr vollkommen egal - ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass sie sie hasst oder jedenfalls den Gedanken an sie. Ich glaube, dass sie sie eigentlich gar nicht kennt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie für ein Kind sorgt, obwohl sie ihre
eigenen Kinder ja auch irgendwie großgezogen hat - mehr schlecht als recht, muss man wohl sagen.«
»Sie meinen die Söhne?«
Gemma nickte. »Und ich kann nicht mit Janice Silverman über die Dinge sprechen, die ich gesehen habe und die wahrscheinlich beseitigt werden, bevor das Jugendamt seinen ersten Kontrollbesuch macht, oder über die Dinge, die sie mir gesagt hat und die sie wahrscheinlich nie in Gegenwart einer Sozialarbeiterin wiederholen würde.«
»Essen Sie«, befahl Melody und schob Gemma den Salat wieder hin. »Und dann lassen Sie uns überlegen, was Sie tun können. Wenn sie Charlotte nicht aus großmütterlicher Sorge haben will, wieso will sie sich dann überhaupt mit einem Kind belasten?«
Folgsam stocherte Gemma in der geraspelten Roten Bete herum, die das hartgekochte Ei zu einem attraktiven Pink verfärbt hatte, und sagte: »Es muss das Geld sein. Wenn das Haus unbelastet ist, dann ist es eine Menge wert. Und Sandras unverkaufte Werke - die könnten auch recht wertvoll sein.« Sie dachte an die Preise, die sie an den Exponaten in Pippas Galerie gesehen hatte. »Ich habe vergessen, Pippa Nightingale danach zu fragen.«
»Nightingale?« Melody sah sie irritiert an, winkte aber dann mit der Gabel in der Hand ab. »Egal - reden Sie weiter.«
»Duncan sagte, Maliks Partnerin aus der Kanzlei sei seine Testamentsvollstreckerin, aber Naz und Sandra hätten keinen Vormund für Charlotte benannt.«
»Aber im Nachlass muss doch auch ihr Unterhalt geregelt sein, also denkt die liebe Oma vielleicht, wenn sie das Kind bekommt, wird sie auch etwas vom Kuchen abkriegen, oder jedenfalls regelmäßige Unterhaltszahlungen«, mutmaßte Melody. »Aber ich kann mir vorstellen, dass das Verschwinden der Mutter die Sache verkompliziert. Können Sie mit der Anwältin reden?«
»Ich wüsste nicht, was dagegen spräche«, antwortete Gemma gedehnt. »Solange ich nichts darüber sage … wo ich nicht war.«
»Das wäre also eine Möglichkeit. Sagen Sie, wer ist denn nun diese Pippa Nightingale? Was für ein Name - extravaganter geht’s ja wohl kaum. Wusste sie vielleicht noch irgendetwas über Gail Gilles zu berichten, was Sie weitersagen dürfen ?«
»Pippa Nightingale ist - war - Sandras Galeristin. Roy Blakely sagte mir, sie hätten sich zerstritten, aber Pippa meinte, sie seien nur unterschiedlicher Meinung darüber gewesen, wie Sandra ihre Kunst vermarktete. Sie sagte, sie kenne Sandras Familie nicht und
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