Wenn Die Wahrheit Stirbt
freiwillig, vielen Dank.«
»Warum seid ihr nicht draußen?«, fragte Gemma.
»Zu heiß. Papa hat gesagt, wir sollten etwas anschauen, was Toby gefällt, also ist es wieder mal Fluch der Karibik .« Johnny Depp stolzierte mit glitzerndem Goldzahn über den Bildschirm, und Toby pflanzte sich wieder im Schneidersitz auf den Boden, die Augen auf den Fernseher geheftet.
»Ich seh’s.« Die Hunde hechelten leise vor sich hin. »Wo ist euer Papa?«
»Doug hat angerufen und gesagt, er soll ins Büro kommen -
es ging um irgendwelche Berichte, die bis Montagmorgen fertig sein müssen. Er meinte, du sollst ihn anrufen.«
Das bedeutete hoffentlich, dass er ihr den Auftritt von gestern Abend verziehen hatte, dachte sie. Zugleich wurde ihr bewusst, dass sie Hazel in Gedanken kritisiert hatte, obwohl sie sich selbst ziemlich irrational verhalten hatte.
»Hättet ihr zwei Lust, bei Erika vorbeizuschauen?«, schlug sie spontan vor. »Wir könnten zu Fuß gehen.«
»Zu heiß«, meinte Kit.
»Wir könnten uns hinterher ein Eis holen.«
Toby riss sich von der Mattscheibe los. »Au ja, Mami! Was für eins denn?«
»Okay, ich geb’s zu, ich bin auch bestechlich«, erklärte Kit.
»Ich ruf nur schnell Erika an, und dann muss ich mich noch ein bisschen frisch machen.«
Erst später, nachdem Gemma geduscht und sich umgezogen hatte und sie gemeinsam die Ladbroke Road entlanggingen, rückte sie mit ihrem Hintergedanken heraus.
»Ich will Erika auch sehen«, sagte sie, »aber während ihr bei ihr seid, muss ich noch kurz bei Betty Howard vorbeischauen.«
»Du gehst ohne uns Wesleys Mutter besuchen?« Kit beäugte sie argwöhnisch. »Warum können wir nicht mitkommen? Betty freut sich immer, uns zu sehen.«
»Natürlich tut sie das, aber diesmal ist es ein bisschen kompliziert.« Sie erklärte, dass Betty sich um ein kleines Mädchen namens Charlotte kümmerte, das eine Pflegefamilie brauchte, und dass Charlotte noch nicht ganz so weit sei, neue Menschen kennenzulernen.
Sie wusste, dass sie ihnen irgendwann erzählen musste, was mit Charlottes Eltern passiert war, doch es war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, das Thema in Kits Gegenwart ansprechen zu müssen. Kit jedoch sagte lediglich: »Du bleibst aber nicht lange, oder?«
Gemma hatte sich kurz nach ihrer Versetzung nach Notting Hill im Zuge einer Ermittlung mit Erika Rosenthal angefreundet. In den letzten Monaten waren sie einander noch näher gekommen, nachdem das überraschende Auftauchen einer wertvollen Brosche bei einer Auktion Gemma einen Einblick in die dramatische Vergangenheit der alten Dame gewährt hatte.
Als pensionierte Wissenschaftlerin, die selbst keine Kinder hatte, war Erika Toby und Kit besonders zugetan, und die Jungs betrachteten sie schon als Teil der Familie - eine Art geschenkte Großmutter. Tatsächlich sahen sie Erika viel öfter als Gemmas oder Duncans Eltern. Tobys Vater Rob hatte Gemma verlassen, als Toby noch in den Windeln lag, und Robs Eltern hatten jeglichen Kontakt abgebrochen, womit sie Rob halfen, sich um die Unterhaltszahlungen für Toby zu drücken. Nicht, dass Gemma Wert darauf gelegt hätte, von ihnen zu hören.
Mit Kits Großeltern mütterlicherseits war es sogar noch schwieriger gewesen. Nach einem gescheiterten Versuch, sich das Sorgerecht zu erstreiten, durften sie Kit nur noch unter Aufsicht besuchen, und inzwischen unternahmen sie nicht einmal mehr den Versuch, ihren Enkel zu sehen. Kits Verhältnis zu seiner Großmutter war - vorsichtig ausgedrückt - nie das beste gewesen, und was seinen Großvater betraf, gab er jedenfalls nach außen hin nicht zu erkennen, dass er ihn vermisste. Mit Duncans Eltern dagegen war er sehr schnell warm geworden, und auch Gemmas Eltern hatte er ins Herz geschlossen, doch mit Erika verband ihn eine ganz besondere Beziehung. Sie waren in vielerlei Hinsicht verwandte Seelen, allen Unterschieden in Alter und Lebenserfahrung zum Trotz.
Als sie das Haus in Arundel Gardens erreichten und klingelten, kam Erika sofort an die Tür. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihre Züge, während sie sich eine lose Strähne ihres schlohweißen Haars aus der Stirn strich. Sie trug eine geblümte Schürze und hatte sich mit irgendetwas im Gesicht bekleckert.
»Ah, meine Küchenhelfer«, sagte sie. »Ihr kommt mir gerade recht.«
»Machst du was für uns?«, fragte Toby, als sie ihr in den Hausflur folgten.
»Nein. Ich habe einen Gast zum Abendessen, und die Vorspeise muss etwas typisch Französisches sein. Es ist zu
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