Wenn Die Wahrheit Stirbt
Familie, ein Zuhause, einen Beruf - und ich habe alles weggeworfen.«
»Aber du hast Donald Brodie doch geliebt. Wenn es nicht mit einer solchen Katastrophe geendet hätte -«
»Habe ich das?« Hazel rückte in ihrem Sessel vor und verschüttete etwas von ihrem Tee. Sie rieb mit dem Daumen über den nassen Rand ihrer Tasse. »Habe ich ihn wirklich geliebt? Oder war ich nur gelangweilt und habe nach Aufmerksamkeit gegiert? Es war eine Illusion. Es hätte nie funktioniert, selbst wenn -« Sie schluckte und schüttelte den Kopf. »Aber das spielt alles keine Rolle. Was zählt, ist, dass ich Holly und Tim bewusst wehgetan habe, und das kann ich nicht ungeschehen machen.«
»Und Tim - sieht er das genauso?«
»Ich weiß es nicht. Er sagt, er würde es gerne versuchen, aber ich fürchte, wenn der Alltag erst wieder eingekehrt wäre, würde
es immer an ihm nagen. Wie könnte es anders sein? Wie kann er mir je wieder vertrauen?«
Gemma wollte ihre Freundin schon ermahnen, nicht so streng mit sich selbst zu sein, doch als sie Hazels verbissene Miene sah, wählte sie einen anderen Ansatz. »Wieso bist du dann zurückgekommen? Ich dachte, du liebst Carnmore.« Die Brennerei, versteckt in einem der entlegensten Winkel der schottischen Highlands, war Gemma furchtbar einsam und isoliert vorgekommen, doch sie hatte Hazel ihren Plan, sich dort niederzulassen, nicht ausreden können.
»Ich habe es geliebt, und ich liebe es noch. Und ich hatte eine Verpflichtung. Aber jetzt läuft die Brennerei wieder, und es gibt andere, die besser qualifiziert sind als ich, sie zu betreiben.« Hazel stellte ihre Tasse ab und beugte sich vor. Das Licht von den Terrassenfenstern fiel auf ihr Gesicht und ließ die dunklen Ringe unter ihren Augen erkennen. »Und ich musste feststellen, dass ich doch nicht aus so hartem Holz geschnitzt bin, wie ich dachte - den Gedanken an einen weiteren Winter dort oben fand ich einfach unerträglich. Es war nicht fair gegenüber Holly, ihr dieses Leben aufzuzwingen.Wir beide waren ja oft wochenlang allein. Sie braucht ihren Vater, eine vertraute Umgebung und eine gute Schule …«
Hazel schien zu zögern; dann sagte sie: »Holly wird während der Woche bei Tim in Islington wohnen, Gemma. Wir haben alles besprochen. Dort hat sie die Schule gleich um die Ecke, und Tim wird zu Hause arbeiten, sodass er leicht eine Nachmittagsbetreuung für sie organisieren kann.«
»Aber Hazel, du bist ihre Mutter -« Gemmas Einspruch erstarb ihr auf den Lippen. Sie wusste, dass die Entscheidung Hazel schwergefallen sein musste, und sie kannte Hazels Hartnäckigkeit, wenn sie einmal einen Entschluss gefasst hatte. So setzte sie neu an und versuchte etwas Positives an der Sache zu finden. »Holly wird also die Wochenenden bei dir verbringen?«
»Ja, und wir können immer kurzfristig umplanen, wenn es nötig ist. Ich habe Tim gebeten, sie heute zu behalten, damit wir zwei ein bisschen Zeit miteinander verbringen können.«
»Aber was hast du vor?«, fragte Gemma. Hazel hatte wie Tim als Familientherapeutin gearbeitet, doch nachdem ihre eigene Ehe in die Brüche gegangen war, hatte sie sich nicht mehr in der Lage gesehen, andere zu beraten. »Wirst du wieder praktizieren?«
»Nein. Ich werde in einem Café arbeiten.« Zum ersten Mal seit ihrer Begrüßung schien Hazels Lächeln auch ihre Augen zu erreichen. »Es ist ein neu eröffnetes Lokal in Kensington. Ich kenne die Küchenchefin, und sie braucht ein Mädchen für alles. Ich kann kochen, bedienen oder die Kasse machen. Im Moment mache ich nur die Schicht vom Frühstück bis zum Nachmittagstee, aber wenn wir auch Abendessen servieren, werde ich unter der Woche Abendschichten übernehmen können. Du musst mal zum Lunch vorbeikommen. Es ist gleich hinter der Kensington High Street. Und jetzt« - sie schenkte Gemma und sich selbst nach und erinnerte dabei in ihrer forschen Art schon wieder ein wenig an die alte Hazel - »erzähl mal von dir. Wie geht es deiner Mutter?«
Gemma blinzelte ärgerlich, als ihr urplötzlich Tränen in den Augen brannten. Bei ihrer scheinbar so unbezwingbaren Mutter war im Mai Leukämie diagnostiziert worden. Die Chemotherapie, die sie weiterhin bekam, schien eine gewisse Remission bewirkt zu haben; dennoch hatten sie alle das Gefühl, dass ein Damoklesschwert über ihnen schwebte. »Sie hält sich tapfer. Dad musste für die Bäckerei Aushilfen einstellen, aber am meisten Arbeit hat er damit, sie daran zu hindern, alles selbst zu machen.«
»Kann ich
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