Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
stimmte Blondel ihm zu. »Es gibt sogar eine geringe Chance, daß du dir selbst bege-gnest, man kann nie wissen. Deshalb ist es auch so wichtig, sich nicht in Kneipen mit alten Männern über den Krieg zu unterhalten.«
Guy nickte. »Es sei denn, ich erinnere mich daran, schon mal hiergewesen zu sein. Dann wüßte ich na-türlich, ob ich überlebt habe.«
»Darauf kannst du dich auch nicht verlassen«, widersprach Blondel. »Ich habe mal einen Typen gekannt, der sich selbst begegnet ist. Er stieß sich versehentlich unter einen Zug – er war ein furchtbar tol-patschiger Kerl, mußt du wissen. Natürlich wurde dabei sein zukünftiges und nicht sein zeitreisendes Ich getötet. Tragisch.«
Guy blickte vom Glas auf. »Und was ist danach passiert?«
»Armer Kerl, er war völlig von der Rolle«, fuhr Blondel fort. »Ich habe ihm gesagt: ›Hör mal, George, es bringt nichts, in der Vergangenheit zu leben.‹ – ›Aber, Jack‹, antwortete er, ›bleibt mir denn unter diesen Umständen noch irgendeine andere 123
Wahl?‹ Am Ende sind die Editeurs wegen ihm gekommen, mehr konnte man nicht für ihn tun.«
»Wer sind eigentlich diese …«
»Darüber zerbrich dir mal lieber nicht den Kopf, du würdest dir nur unnötige Sorgen machen«, unterbrach ihn Blondel. »Ich denke, wir sollten uns noch ein Glas genehmigen.«
Blondel ging an den Tresen und kehrte mit zwei vollen Gläsern zurück.
»Sag mal, Blondel, kommen daher auch die Geister?« erkundigte sich Guy vorsichtig.
»Wie bitte?«
»Na, Geister eben. Ich meine, sind das etwa Leute, die … na ja, die in der Zeit verlorengegangen sind?
Ich finde, das hört sich ganz so an, als ob Geister …«
»Das ist sicherlich eine ganz nette Idee«, unterbrach ihn Blondel, »entspricht aber leider nicht der Realität. Geister sind etwas ganz anderes. Darüber werde ich dir ein andermal erzählen. So, und jetzt laß uns mal einen Blick auf den Terminplan werfen.«
Er holte einen zerknüllten Briefumschlag hervor, auf dessen Rückseite eine mit winzigen Buchstaben geschriebene Liste stand. Etwa ein Fünftel der Einträge war durchgestrichen. Blondel strich drei weitere durch, und Guy fiel auf, daß unten automatisch drei neue Einträge hinzugefügt wurden.
»Wie funktioniert das?« erkundigte er sich verdutzt.
»Automatischer Terminkalendereintrag«, klärte Blondel ihn auf. »Wenn ich mich zu einer gewissen 124
Zeit an einen Ort begebe, heißt das noch lange nicht, daß ich damit ein für allemal abgeschlossen habe, sondern nur, daß der Termin ans Ende der Liste rückt. Dennoch freue ich mich, dir sagen zu können, daß wir mehr oder weniger …«
»Sind hier noch drei Plätze frei?«
Ein mächtiger Schatten war auf den Tisch gefallen.
Guy schaute auf und sah drei Männer. Sie trugen allesamt elegante anthrazitfarbene Anzüge und hatten dunkelgraues Haar. Es fiel schwer, sie auseinander-zuhalten. Sie hätten gut Brüder sein können; Drillin-ge sogar.
Blondel blickte sie lächelnd an. »Guten Tag, Giovanni, schön, Sie hier zu sehen. Klar ist hier noch frei. Was trinken Sie?«
Guy blickte verdutzt drein, und aus einem für ihn nicht ganz ersichtlichen Grund spürte er, wie sich seine rechte Hand unwillkürlich mit den Fingerspit-zen am Stuhl entlang der Decke mit dem Schwert und dem Revolver näherte.
»Lassen Sie nur, Blondel, Iachimo holt die Ge-tränke«, sagte Giovanni und setzte sich – nach Guys Meinung mit voller Absicht und strategisch ausge-fuchst – zwischen Guy und die Decke. »Dasselbe wie immer?«
»Für mich geht das in Ordnung«, stimmte Blondel zu.
»Und was ist mit dir, Guy?«
Guy sagte, ja, das sei sehr freundlich, woraufhin sich einer der drei Männer an den Tresen begab; der 125
dritte setzte sich neben Blondel und zündete sich eine Zigarre an.
»Das letztemal, als Sie hiergewesen sind, haben wir Sie nur knapp verpaßt, Blondel«, sagte Giovanni.
»Marco, biete den beiden Herren doch auch eine Zigarre an, ja?«
»Ist das hier Ihr Stammlokal?« fragte Blondel.
»Nicht ganz«, antwortete Giovanni, »aber von Zeit zu Zeit schauen wir mal rein. Wissen Sie, unser Büro ist gleich um die Ecke. Ganz praktisch, man kann sich hier gut mit Mandanten treffen und dergleichen.«
Blondel nickte. »Ach, das hatte ich schon völlig vergessen. Die Beaumont Street ist ja schon die nächste Querstraße, stimmt’s?«
Giovanni lächelte nur. »Nun denn, es ist schon ei-ne ganze Weile her, seit wir uns das letztemal gesehen haben, nicht
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