Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
Vom Netzwerk:
erlosch, und Guy strich mit dem zweiten über die Anrißfläche, das gleich darauf ent-flammte und es fertigbrachte, in dem ansonsten völlig zugluftfreien Keller den einzigen Windhauch zu erhaschen, um sofort wieder auszugehen. Guy streckte den rechten Arm vor und tastete mit den Fingern nach der Tür, die er kurz zuvor für den Bruchteil einer Sekunde gesehen hatte.
    Wie schon Aristoteles sagte: Wenn man zwischen einem beutehungrigen Tiger und einem Zustellungs-beamten eingekeilt ist, der ein gerichtliches Dokument in den Händen hält, dann sollte man sich stets nach einer Fluchtmöglichkeit umsehen.
    Erschöpft, betrübt und bestürzt zugleich kehrte der Chefwächter in seine Dienststelle zurück. Im Zeitraum eines einzigen Tages hatte er gegen sämtliche Gesetze und Regeln seines Berufsstands verstoßen, und das einzig und allein, um herausfinden zu müssen, daß seine Helfer und Helfershelfer für die Ver-nichtung des (seiner Meinung nach) größten musikalischen Genies aller Zeiten verantwortlich waren. Als wäre es nicht schon schlimm genug gewesen, daß Blondel in einem seiner eigenen Archive umgekom-men war, so mußte ihm auch noch einfallen, daß sie 226
    heute abend Gäste zum Essen erwarteten und ihm seine Frau gesagt hatte, er dürfe unter keinen Um-ständen zu spät nach Hause kommen.
    Mißmutig blickte er auf die Uhr, dann schloß er die Bürotür auf und spielte kurz mit dem Gedanken, ein kurzes Stück in der Zeit zurückzuspringen, um sich auf diese Weise wenigstens einigen häuslichen Ärger zu ersparen. Zwar wäre das ein eklatanter Verstoß gegen die Dienstvorschriften gewesen, aber verglichen damit, was er bereits getan hatte, entspräche das lediglich einem Strafzettel auf der Windschutz-scheibe seiner Ehre. Andererseits brauchte er jetzt nur noch den Safe zu öffnen, um dort den Archiv-schlüssel für die Nacht zu deponieren, und sich auf dem Nachhauseweg für seine Frau eine vernünftige Entschuldigung einfallen zu lassen …
    In seinem Büro wurde er bereits von einigen Leuten erwartet. Sie mußten die ganze Zeit im Dunkeln gesessen haben, denn das Licht war nicht an, als er den Raum betrat; als wollten sie ihn mit ihrem unan-gekündigten Besuch überraschen.
    »Guten Abend, Chef Wächter.«
    Selbst wenn er an eine Flucht gedacht hätte, wäre es zwecklos gewesen; die Tür wurde mittlerweile von einem kräftig gebauten Sicherheitsbeamten blockiert.
    Der Chefwächter holte tief Luft und entspannte sich. Da es sich offenbar um ein abgekartetes Spiel handelte, gab es keinen Grund, überstürzt zu reagieren.
    227
    »Kommen Sie rein, und nehmen Sie bitte Platz.«
    Obwohl die Sitzung des Auswahlkomitees, auf der er zum Chefwächter ernannt worden war, mittlerweile um die zweihundert Jahre – was, wirklich schon so lange? zurückliegen mußte, erkannte er die Stimme sofort. Als sich der Sprecher im Sessel zu ihm umdrehte und ihn anschaute, war er zwar innerlich darauf vorbereitet, doch quietschte er trotzdem kurz wie eine Maus im Mixgerät auf und blickte unwillkürlich beiseite. Schließlich war der Chefwächter ein menschliches Wesen, und kein noch so abgeklärter oder gelassener Mensch konnte einen längs in der Mitte halbierten Mann ohne Skrupel ansehen.
    »Das geht schon in Ordnung«, beruhigte ihn der halbe Mann und nahm so eine Entschuldigung vor-weg.
    »Ich habe mich mittlerweile, weiß Gott, daran ge-wöhnt.
    Wenn Sie also lieber in die andere Richtung blicken, dann bin ich keinesfalls beleidigt.«
    »Danke, Sir«, murmelte der Chefwächter zur gegenüberliegenden Wand und setzte sich.
    »Kommen wir zur Sache«, sagte der halbe Mann.
    »Sie können die beiden zwar nicht sehen, aber zu meiner Rechten sitzt Seine Heiligkeit Papst Julius der Zweite, den Sie, soweit ich mich erinnern kann, schon einmal kennengelernt haben, stimmt’s?« Mit belustigtem Unterton in der Stimme fuhr er fort:
    »Und zu meiner Linken befindet sich Seine Heiligkeit Gegenpapst Julius der Dreiundzwanzigste. Be-228
    vor Sie jetzt irgend etwas sagen, ja, die beiden sind ein und dieselbe Person. Wie Sie wissen, war Julius Papst von Rom, und seit seinem Tod pendelt er aus dem sechzehnten Jahrhundert als Gegenpapst durch die Weltgeschichte. Freundlicherweise hat er zuge-stimmt, gleichzeitig auf zwei Reisen zu gehen, und zwar jeweils in einer der beiden Funktionen. Da eine solche Simultanreise offenbar zum erstenmal gemacht wird, bittet er Sie, ihm gegenüber einige Zugeständnisse zu machen. Zum Beispiel heißt das, daß

Weitere Kostenlose Bücher