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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Julius zu Hause bleiben, ich die Einladung zum Abendessen annehmen und dieser Mister Sowieso hier zum Windhundrennen gehen oder eben das machen können, was solche Leute sonst so abends treiben. Aber was soll’s? Das Urteil ist hiermit rechtskräftig.«
    Der Chefwächter senkte betrübt den Kopf und wartete darauf, daß ihm der Sicherheitsbeamte eine Hand auf die Schulter legen würde, um ihn abzuführen. Doch statt dessen hörte er erneut die Stimme des halben Mannes.
    »Übrigens habe ich dem Fahrer gesagt, er brauche erst in etwa fünf Stunden zurückzukommen«, sagte 232
    er allgemein in die Runde. »Also hängen wir hier solange fest. Wie war’s mit einem Spiel oder dergleichen?«
    »Danke, aber ich glaube nicht, daß ich dazu in der richtigen Stimmung bin«, antwortete John Athanasius.
    »Mit Ihnen habe ich auch gar nicht gesprochen«, klärte ihn der halbe Mann auf. »Julius, wie war’s mit einer Runde Skat? Du und du gegen mich und Mister …
    Ach, tut mir leid, ich hatte völlig vergessen, daß du gar nicht reizen darfst, wenn du unfehlbar bist.
    Nachher spielst du noch einen Grand ohne Vieren und verlierst womöglich mit Contra, gar nicht auszu-denken, welche Auswirkungen das auf das neunte Laterankonzil haben könnte. Na prima, das kann ja ein heiterer Abend werden …«
    Während des danach folgenden langen Schweigens starrte Athanasius die Wand an. Seine Frau hatte es bestimmt schon längst aufgegeben, auf ihn zu warten, und servierte höchstwahrscheinlich gerade die kalte Rote Bete-Suppe mit saurer Sahne und Schnittlauch. Dort, wo er hingebracht werden sollte, würde er nie wieder das von seiner Frau gekochte Essen riechen, vor allem aber nie wieder essen müssen. Unwillkürlich verzogen sich seine Lippen zu einem hämischen Grinsen.
    »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist …«, begann der halbe Mann. »Mhm, mal sehen … und das ist … Ey, Chefwächter, ist das etwa eine komplette Plattensammlung von Blondel?«
    233
    John Athanasius nickte.
    »Ist da etwa auch das Weiße Album von elfhundertsechsundneunzig bei?«
    Erneut mußte Athanasius grinsen. »Ja, Sir.«
    »Das ist natürlich die Raubpressung, nicht wahr?«
    »Nein, Sir«, antwortete der Chefwächter – o zarte Sehnsucht, süßes Hoffen –, »die offizielle Aufnahme, Sir.« Nicht ohne Häme fügte er hinzu: »Und zwar mit Gace Brule am Schlagzeug.«
    »Ich verstehe. Haben Sie eigentlich ein … ähm …
    Testament gemacht?«
    Der Chefwächter nickte.
    »Aha, das hatte ich mir gedacht. Natürlich ist das ungültig«, stellte der halbe Mann fest. »Wenn Sie in die Archive verbannt werden und folglich nie gelebt haben, können Sie auch kein Testament gemacht haben, und das heißt, daß Ihr gesamter Besitz eingezo-gen wird und an …«
    »Wenn es mich nie gegeben hat, Sir«, unterbrach ihn Athanasius, »dann kann ich auch niemals die letzte Kopie der offiziellen Aufnahme des Weißen Albums aus dem Jahre elfhundertsechsundneunzig gekauft haben, stimmt’s? Und das heißt, daß die Platte von jemand anderem gekauft worden sein muß.
    Oder was meinen Sie, Sir?«
    »Ich …«
    »Was wirklich schade ist, Sir, zumal ich die Platte in meinem Testament Ihnen vermacht habe.«
    »Ich …«
    »Ausdrücklich sogar. Ach, und dann spielt ja auch 234
    noch elain de Coucy auf der Platte das Krummhorn«, schwärmte Athanasius. »Eine Wahnsinnsaufnahme ist das.«
    »Chefwächter!« Die Stimme des halben Mannes klang plötzlich hart wie ein Diamant. Wie ein schwarzer Diamant sogar, Industriestandard. »Sehen Sie mich gefälligst an, wenn ich mit Ihnen rede!«
    John Athanasius drehte sich gehorsam um und lä-
    chelte freundlich. Unter diesen Umständen fiel es ihm nicht einmal sonderlich schwer, dem halben Schädel ins Auge zu blicken. Ihm war nämlich gerade folgendes eingefallen: Wenn es seine Blondel-Plattensammlung noch gab, mußte auch Blondel gelebt haben, und wenn es Blondel jemals gegeben hatte, dann mußte er irgendwie aus dem Archiv entkommen sein. Und in diesem Fall, jubelte seine innere Stimme, werde auch ich irgendwie aus diesem Schlamassel herauskommen. Danach werde ich diesen Scheißjob kündigen, mir eine andere Originalfas-sung des Weißen Albums besorgen und mich zur Ruhe setzen.
    »Haben Sie eigentlich eine Ahnung, welch ernsthaftes Vergehen es ist, wenn man mutwillig mein Recht zu beugen versucht?«
    »Nein, Sir.«
    »Nun, sehr ernst jedenfalls. Also versuchen Sie es lieber erst gar nicht, haben Sie mich verstanden?«
    »Ja,

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