Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
braun und undurchsichtig und sah wie starker Tee aus.
Schließlich reichte er Guy einen Becher, den letzterer fast fallen ließ. Der Becher war nämlich er-staunlich schwer, und Guy fragte sich allmählich, ob das Gefäß womöglich tatsächlich aus Gold gefertigt war.
»Auf deine Gesundheit«, prostete de Nesle ihm zu.
Dann nahm er einen kräftigen Schluck und verzog dabei das Gesicht so sehr, daß Guy sich nicht mehr ganz sicher war, ob er der Aufforderung zu trinken nachkommen sollte.
»Ähm … was ist das?« fragte er.
»Met«, antwortete de Nesle »Würdest du mich bitte kurz entschuldigen? Ich erwarte nämlich jeden Augenblick einen Anruf.«
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John de Nesle hob einen der Wandteppiche an, und eine niedrige Türöffnung kam zum Vorschein.
Er verschwand dahinter, und der Wandteppich fiel wieder herunter.
Da er aus dem Geschehen um ihn herum einfach nicht klug wurde, blieb Guy dort stehen, wo er war, und blickte sich langsam im Raum um. Doch es fiel ihm dazu lediglich ein, daß er vorher nie auf die Idee gekommen wäre, das himmlische Königreich könnte von dem Filmregisseur D. W. Griffith entworfen und ausgestattet worden sein; sonderlich hilfreich war dieser Gedanke allerdings auch nicht. Er schaute in den Becher, entdeckte eine Wespe, die sich, mit einem Flügel zu ihm zeigend, im Kreis drehte, und hielt nach einem Blumentopf Ausschau, entdeckte aber keinen.
Das ist ja alles ganz nett hier, trotzdem mache ich mich jetzt lieber auf die Socken, sagte er sich schließlich. Ich sollte diesen recht friedlich aussehenden deutschen Wachposten suchen und mich ergeben. Er ging in Richtung der Tür, durch die er eben hereingekommen war, aber sie war nicht mehr da; an ihrer Stelle hing nun ein Teppich, auf dem eine un-bekleidete hübsche Maid dargestellt war, die in einem angedeuteten Tümpel ihr Spiegelbild betrachtete. Als er den Teppich an einer Ecke anhob, war dahinter nur ein Stück der Wand zu sehen.
Guy Goodlet war kein Mensch, der zu überstürzten Handlungen neigte; er zog es stets vor, zunächst einmal alles genau abzuwägen und erst dann die In-32
itiative zu ergreifen. Zudem hatte er generell Spaß daran, Probleme mit sich und seiner Intelligenz aus-zudiskutieren.
Bei dieser Gelegenheit machte die Intelligenz ihrem Namen jedoch alle Ehre, denn sie hielt kluger-weise den Mund und blickte lieber beschämt beiseite.
Er stellte den Becher wieder ab, knöpfte den Verschluß des Halfters auf und zog den Revolver heraus.
Dann steuerte er auf die Türöffnung zu, durch die kurz zuvor de Nesle verschwunden war.
Ein Lieblingsspruch von Papst Wayne dem Dreiundzwanzigsten (2567-2578 A. D.) lautete, daß etwa fünfundneunzig Prozent des menschlichen Lebens so wichtig wie Kartoffelbrei sind; man kann gut darauf verzichten, wenn man nur will.
Natürlich handelt es sich dabei um eine grobe Vereinfachung eines weiten Feldes der Theochrono-logie; doch wie die meisten der australischen Päpste des sechsundzwanzigsten Jahrhunderts war Wayne weniger wegen seines logischen Denkens ausgewählt worden, sondern vielmehr aufgrund seiner unbestrittenen Redegewandtheit.
Was Seine Heiligkeit damit zusammenzufassen versuchte, war eine der Grundthesen der Theochro-nologie, seit dem dreiundzwanzigsten Jahrhundert auch als der ›Bloomington-Effekt‹ bekannt. Bloomington beobachtete, daß ein Mensch – egal, wie häufig er in der Zeit umherwandert – früher oder spä-
ter unausweichlich an den Ort und Zeitpunkt zurück-33
kehren muß, von dem aus er gestartet ist, um die Kontinuität in der Geschichte aufrechtzuerhalten; sonst könnten Menschen ja einfach spurlos verschwinden und nie mehr zurückkehren, was schlichtweg nicht sein kann.
Als Folge des Bloomington-Effekts läßt sich nun schließen, daß jede Zeit, die man mit einer Zeitreise verbringt, wie eine Art Auszeit beim Basketball ist –
mit anderen Worten: Jede Zeitspanne, die ein Indivi-duum damit verbringt, sich in einem oder mehreren Jahrhunderten zu bewegen, wirkt sich nicht auf die für ihn vorgesehene Lebenserwartung aus. Beispielsweise kann man die eigene Zeit an seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag verlassen, hundert Jahre in der Vergangenheit oder in der Zukunft oder in beidem verbringen und dann in die eigene Zeit zurückkehren, und man ist immer noch keinen Tag älter. Auf diese Weise verbleibt die Materie – die Atome und Moleküle, aus denen der Körper besteht
– in der Zeit und an dem Ort, wo sie eigentlich hingehört, und man hat nicht
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