Wenn du lügst
gab eins. Eine Vierjährige namens Sissy Harper, auch wenn wir nie einen echten Beweis hatten, dass Daryl mit drinsteckte.« Sie machte eine Pause und beugte
sich nach vorn. Ihre Stimme klang in meinen Ohren gelassen, aber für meine Augen sah sie nicht so aus. Die Grautöne wurden dunkler und trüber, so als wäre sie zornig oder beunruhigt. Ihre Schultern waren angespannt und nach vorn gekrampft und entsprachen dem Aussehen ihrer Stimme, wenn auch nicht dem Klang.
»Vor etwa zwölf Jahren hat das Gaswerk einen Anruf von einem Briefträger bekommen, der Gas gerochen hat, als er auf einer Veranda Post ablegen wollte. Zusätzlich beunruhigte ihn, dass auch die Briefe vom Vortag noch da lagen, weil das Auto nämlich in der Einfahrt stand. Das Gaswerk schickte jemand, der vor der Tür eine Messung durchführte. Der Gasmann war so erschrocken über die Gaskonzentration vor dem Haus, dass er die Cops rief. Wir haben die Tür dann aufgebrochen.«
»Wir?«, fragte ich, nicht sicher, ob sie wortwörtlich sich selbst meinte oder nur »wir, die Cops.«
»Mein Partner Mac und ich bekamen den Fall. Ein Streifenpolizist hat die Tür aufgebrochen und uns verständigt. Was wir vorfanden waren ein aufgedrehter Herd, eine offene Ofentür und einen toten Mann namens Roosevelt Harper, der mit einer Kugel in der Brust und einer anderen mitten in seinem Gesicht auf dem Küchenboden lag. Dann gingen wir durch das Haus und fanden eine zweite Leiche, Sissy, in einem Wandschrank im Obergeschoss. Sie war Roosevelts Tochter. Sie war vergewaltigt und geschlagen worden, und ihre Oberschenkel waren mit getrocknetem Blut überzogen. Ich schätze, sie ist nach dem Übergriff in den Schrank gekrochen, um sich zu verstecken. Das ist aber nur eine Mutmaßung.
Vielleicht hat er sie auch reingeworfen. Jedenfalls waren die Türen verschlossen, deshalb wäre sie nicht aus dem Haus herausgekommen. Sie ist durch das Gas gestorben.«
Mein Magen verkrampfte sich, und ich fragte mich, ob es in irgendwelchen Akten wohl ein Foto von Sissy gab.
»Und wie ist Daryl Collins in die Sache verstrickt?«
»Na ja, er könnte dabei gewesen sein. Wir haben nie irgendwelche Beweise dafür oder dagegen gefunden. Daryl und Leroy waren die Cousins des Toten mütterlicherseits, und auf der Straße ging das Gerücht um, dass sie zusammen mit Drogen handelten. Aber das war bedeutungslos. Wir hatten keine objektiven Beweise - Ende vom Lied. Niemand hat irgendwen in jener Nacht das Haus betreten oder verlassen sehen. Es war nicht die Art von Gegend, wo es sich auszahlte, genau hinzusehen, wer irgendwo ein- und ausgeht.« Sie zuckte die Achseln.
»Diese ganze Familie besteht nur aus Arschlöchern. Das Oberhaupt ist eine Art Ma-Barker-Verschnitt, und fast alle ihre Kinder sind schon mal eingesessen - tatsächlich ist Leroy die einzige Ausnahme. Er hat lediglich irgendwann mal eine Jugendstrafe abgebrummt. Als Erwachsener hat er Mittel und Wege gefunden, auf freiem Fuß zu bleiben.
Jedenfalls hatten wir nie irgendetwas, wo wir ansetzen konnten. Die Waffe ist nie aufgetaucht. Wir konnten auf der Straße nichts in Erfahrung bringen, obwohl wir auf jeden Busch geklopft haben.«
»DNA?«
»Bei Sissy? Tja, wir dachten, dass wir möglicherweise
etwas hätten, aber es gab damals ein kleines Problem mit unserem Labor. Vielleicht haben Sie darüber gelesen. Wie sich herausstellte, haben die dort Beweise fabriziert. Das Ganze wurde aufgedeckt, direkt nachdem wir unsere DNA hingeschickt hatten. Wir haben anschließend noch nicht mal mehr nach dem Ergebnis gefragt. Uns war klar, dass wir es weder benutzen noch ihm trauen konnten, und ich habe keine Ahnung, was mit der Probe passiert ist. Wir haben sie nie zurückbekommen. Es hätte auch nichts gebracht. Die Beweiskette war in dem Moment unterbrochen, als sich das Labor als unglaubwürdig erwiesen hatte.
Es hätte wirklich alles sein können: ein geplatzter Drogenhandel, oder vielleicht hat ihn ein konkurrierender Dealer umgebracht. Aber das Kind? Das ist eine sehr persönliche Form von Rache, es sei denn, der Täter wäre auf Crystal Speed gewesen. Alles war denkbar. Es gab viel zu viele Möglichkeiten. Bis jetzt. Bis Sie mit einer Frage zu Daryl und einem kleinen Mädchen aufgetaucht sind. Wir haben uns immer gefragt, ob Daryl wohl irgendwann auf seinem Weg zu plaudern anfangen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie sonst auf etwas über Daryl und eine Vierjährige in den Akten eines Gefängnisses oben in Washington State
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