Wenn du lügst
gestoßen sein könnten.«
Ich gab darauf keine Antwort. Sie wusste es nicht, aber sie hatte jetzt nicht mehr als zuvor. »Sagen Sie mir, was sie angehabt hat«, bat ich. »Erinnern Sie sich daran?«
»Ein schmutziges blaues Kleid mit kleinen Gänseblümchen«, sagte sie ohne zu zögern.
»Das wissen Sie noch?«
Sie zuckte mit den Schultern und sah zur Seite.
Ich dachte an das Mädchen am Rande meines Sichtfelds, als ich mit Collins gesprochen hatte, und an das Kleid, das sie trug. Plötzlich stellte mein Magen sein Knurren ein, und mein Hunger war weg. Was auch immer ich da gesehen hatte, es existierte nicht bloß in meinem Kopf.
»Haben Sie Unterlagen, die ich mir ansehen könnte?«, fragte ich schließlich. »Polizeiberichte und so?«
»Sicher. Ich bin derzeit nicht in die Sache involviert, deshalb weiß ich nicht, was man genau für Sie geplant hat. Aber Sie werden vermutlich heute Abend eine Nachricht in Ihr Hotel bekommen mit den Informationen, wo Sie sie sich ansehen können. Sie wird wahrscheinlich von Pat Humphrey kommen. Sie ist eine Staatsanwältin mit einem besonderen Interesse an Leroy. Ich weiß, dass Sie in erster Linie wegen Daryl hier sind, aber ich weiß auch, dass das eigentliche Interesse hier unten Leroy gehört. Daryl ist schon seit Langem nicht mehr unser Problem. Aber wenn Daryl in die Sache verwickelt war, gilt das auch für Leroy. Damals hat keiner auch nur einen Furz ohne den anderen gemacht. Wissen Sie, ich glaube nicht, dass es Leroy gefallen wird, wenn er hört, dass jemand aus Seattle hierher gekommen ist, um diesen Mordfall zu untersuchen. Denn das bedeutet, dass etwas über die Sache aus dem Gefängnis dringt, was wiederum heißt, dass Daryl geplaudert hat.«
»Ich glaube nicht, dass er viel Kontakt zu Daryl gehabt hat«, widersprach ich. »Was Briefe anbelangt, kann ich mir nicht sicher sein, aber ich habe sämtliche Besucherlisten in den Akten studiert, und er ist nirgends
aufgeführt. Aber natürlich könnte er theoretisch anrufen.«
»Theoretisch«, sagte sie. »Aber ich bezweifle es. Er scheint einfach nicht der Typ zu sein, der in Kontakt bleibt. Wird spannend, ob er sich wegen dem hier mit Daryl in die Haare kriegt.«
»Man kann nie wissen. Morgen muss ich in dieser Heilsarmee-Sache aussagen. Ich werde den halben Tag im Zeugenstand sein, vielleicht auch den ganzen. Aber übermorgen könnte ich vorbeikommen und mich einen Tag lang dem hier widmen, wenn nötig auch länger.«
Mandy Johnson nickte nur und starrte auf ihren Teller. Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte ich. Die Energie neben mir war angespannt und zusammengeballt und irgendwie nicht ganz stimmig. Ihre Worte sahen anders aus, als sie klangen. Ich dachte, dass es für mich okay wäre, ihr in einer dunklen Gasse zu begegnen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es da jemand gab, für den das nicht galt. Vielleicht jemand aus ihrer Vergangenheit, vermutlich vor sehr langer Zeit. Das ist das Problem mit Menschen, die mit ihrer Vergangenheit nicht im Reinen sind. Manchmal begegnen sie in der Gegenwart einer Person, die sie an jemand von früher erinnert, und dann sollte man auf der Hut sein. Zumindest belog sie mich nicht: ihre Stimme hatte sich kein Mal verändert.
Sie griff nach ihrem Weinglas und ließ es zwischen den Fingern kreisen. »Tun Sie mir einen Gefallen«, bat sie.
»Welchen?«
»Wenn Sie sich die Unterlagen vornehmen, werden Sie auf die anfänglichen Polizeiberichte über die Morde
stoßen. Sagen Sie ihnen, dass Sie mit den Cops sprechen wollen, die die Erstermittlungen durchgeführt haben, um herauszufinden, woran sie sich erinnern. Es ist hinlänglich bekannt, dass nicht alles es in einen Polizeibericht schafft.« Sie sah kurz auf und dann wieder nach unten. »Sie werden es vermutlich darauf anlegen, dass Sie mit Mac sprechen. Fallen Sie nicht drauf rein. Ich kenne den Fall besser als er.«
»Okay«, sagte ich, aber ich hob meine Augenbrauen, und Mandy fuhr schnell fort.
»Ich interessiere mich noch immer für den Fall und hätte gern einen Grund, mir die Akten noch mal vorzunehmen, Sie vielleicht ein wenig bei dieser Sache zu unterstützen.«
»Klar«, sagte ich. Es war einerseits nicht überraschend, dass hier interne Machtspiele mit von der Partie waren. Ohne interne Machtspiele ging es nirgends. Ob bei der Polizei, ob im Büro der Staatsanwaltschaft, um welche Einrichtung der Menschen es sich auch handeln mochte - immer gab es interne Machtspiele. Aber ich kannte hier weder die
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