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Wenn du lügst

Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter
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nicht irgendwelche blödsinnigen Vorschläge machen, dass sie die Insel verlassen sollte. Wenn überhaupt klang es eher danach, dass es Breeze’ Gefühle verletzte, wenn irgendwer wegging. Sie klickte auf Abschicken, dann lehnte sie sich zurück und wartete. Manchmal schrieb ihre Mutter sofort zurück. Falls sie nicht bald eine Antwort bekäme, würde sie aufgeben und am Morgen noch einmal nachsehen.
    Während sie wartete, dachte sie über das flatternde Gefühl nach. Sie bekam es immer, wenn sie auf E-Mails von ihrer Mutter wartete. Sie mochte es. Manchmal weckte es in ihr das Bedürfnis loszukichern. Es war irgendwie
seltsam, sich nicht um ihre Mutter zu sorgen und nicht ständig wütend zu sein. »Ich hoffe, Du kannst das Kätzchen bald sehen«, hatte ihre Mutter geschrieben. Man konnte nie wissen. Zehn Versuche, bevor sie aufhören. Der E-Mail-Gong ertönte, und sie griff nach der Maus.

kapitel 22
    Lass Lily noch ein paar Minuten länger schlafen. Nicht nötig, dass sie jetzt schon aufsteht. Nicht nötig, dass ich jetzt schon aufstehe. Das Fenster neben dem Bett zeigte eine makellose Weite blauen Puders, der dunkler und satter wirkte als jedes gewöhnliche Blau. Das Sonnenlicht flatterte leise über das Laken. Ich beobachtete die helle Üppigkeit für eine Weile, dann stand ich auf und machte Kaffee. Mit der Tasse in der Hand ging ich auf den Balkon hinaus.
    Ich setzte mich in den weißen Schaukelstuhl und legte die Füße aufs Geländer. Das Zwitschern der Vögel bildete eine süße Komposition von Tönen, die zu wechseln und einander zu ergänzen schienen. Wer weiß? Vielleicht singen sie in Harmonie? Gesangsproben unter den Pinien. Alles herhören, beim zweiten Tschilpen der Rotkehlchen haben die Zikaden ihren Einsatz …, jetzt aufgepasst, Sperlinge, gebt gut acht. Eine leise Brise kitzelte meine nackten Zehen. Es gibt nichts, das sich mit einem Frühling im Süden vergleichen lässt. Kräuter und Blumen brechen hervor wie Knallkörper, die aus dem Boden explodieren. Oben im Norden kommt der Frühling nur widerwillig und langsam, als müsste Mutter Natur unter viel Gezeter und Gekeife die Blumen einzeln aus der Erde zupfen.

    Mandys spätabendlicher Anruf hatte mich umgehauen. Bei Gott, sie hatten eine Zeugin im Mordfall Sissy Harper, und bei Gott, es war genau, wie ich es mir gedacht hatte. Ich hatte Sissy bei Daryl im Gefängnis gesehen. Ich hatte sie hingegen nicht ein einziges Mal gesehen, als ich Leroy beobachtet oder mit ihm gesprochen hatte. Es war Daryl, der sie vergewaltigt hatte, und ich wettete, dass es Daryl war, der das Gas aufgedreht hatte. Ich kannte mich mit sogenannten Spontanäußerungen unter Stress aus. Robert hatte recht. Sissy würde durch Crystals Mutter tatsächlich ihren Auftritt vor Gericht bekommen.
    Mandy hatte seltsam kleinlaut geklungen und versprochen, dass sie so schnell wie möglich zurückkommen würde. Ich hatte die Sorge in ihrer Stimme gehört und das Schuldbewusstsein, weil sie uns im Stich gelassen hatte, sowie ihren dringenden Wunsch, zurückzukommen und sich mit Lily auszusöhnen.
    Also mussten wir vermutlich nur ein paar Tage überstehen, bevor Mandy zurück wäre. Vielleicht würde Leroy gar nicht kommen. Ich hätte nichts dagegen, wenn er beschließen würde, seinen Besuch abzublasen, aber es war noch zu früh, um die Wachsamkeit aufzugeben. Seit seinem Anruf bei Daryl war erst eine Woche vergangen.
    Es stimmte, dass wir in Sachen Sicherheit bestens gerüstet waren. Ich hatte sogar eine Eisenstange aus der Schiene der Schiebeglastür ziehen müssen, bevor ich sie an diesem Morgen öffnen konnte, um auf den Balkon zu gelangen. Vielleicht waren Lily und ich mit Mandy zu hart ins Gericht gegangen. Sie hatte uns ziemlich gut
ausstaffiert. Es war beängstigend, daran zu denken, wie wenig geschützt wir vor ihrer Ankunft gewesen waren.
    Ich hörte ein Auto und blickte gerade noch rechtzeitig nach unten, um ein Polizeimotorrad vorbeifahren zu sehen. Der Polizist winkte, und ich winkte zurück. Mandy hatte sich vor ihrer Abreise mit Carl, dem örtlichen Polizeichef, getroffen und ihn gebeten, während ihrer Abwesenheit ein Auge auf uns zu haben. Carl war ein dünner, drahtiger Mann Anfang vierzig. Er hatte sich von Chapel Hill nach Blackbeard’s Isle versetzen lassen, weil er der betrunkenen, randalierenden College-Studenten überdrüssig geworden war. Ebenso wie der endlosen Alkoholexzesse auf dem Hochschulgelände und der endlosen Aufmärsche von Sportlern, die wegen

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