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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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derzeit leitende Oberärztin der gynäkologischen Abteilung des Howard-Spencer-Memorial-Hospitals. Und das hier ist Mr Levine, ein Vertreter unserer Geschäftsführung, sowie Mr Biwoba, einer unserer Anwälte.«
    In Mos Kopf drehte sich alles. Was passierte hier?
    »Was wollen Sie von mir?« Er atmete schwer und spürte Schweiß auf seinem Rücken, unter seinen Armen, in seinem Gesicht. Dabei blies in diesem Büro eine kalte Klimaanlage, die ihn gleichzeitig frieren ließ.
    Einmal war er in den Bergen von Kasachstan, im Altaigebirge, einem wilden, wütenden und hungrigen Bären begegnet. Damals hatte er sich schrecklich gefürchtet und zum ersten Mal in seinem Leben inbrünstig gebetet. Aber im Vergleich zu der Angst, die er in diesem Moment in Dr Turners spartanisch eingerichtetem Büro empfand, war seine Angst vor dem Bären eine Kleinigkeit gewesen.
    Mr Levine, der Geschäftsführer, übernahm das Wort von Dr. Turner. »Bitte regen Sie sich nicht auf, Mr Greenberg«, begann er nun schwerfällig und blätterte nervös in ein paar Unterlagen, die auf dem Schreibtisch vor ihm lagen. »Zu allererst einmal: Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Ihre Tochter ist völlig gesund.«
    Mo hob den Kopf und Tränen begannen, aus seinen Augen zu fließen. »Du lieber Himmel«, flüsterte er. »Und ich dachte – ich dachte …«
    Er schwieg und hakte seine bebenden Finger ineinander, um sich zu beruhigen.
    »Aber wir haben da dennoch eine unangenehme Entdeckung gemacht«, fuhr Mr Levine fort und rieb sich hilflos über die Stirn. »Um es so kurz und schmerzlos wie möglich zu machen, Mr Greenberg. – Ihre Tochter Hannah ist nicht Ihre tatsächliche Tochter.«
    Stille.
    Totenstille.
    »Wie bitte?«, sagte Mo irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit.
    »Ja, sehen Sie, Mr Greenberg«, sagte nun Dr. Turner und gab ihrer Stimme einen behutsamen Beiklang. Es war, als spräche sie mit einem kleinen Kind. »Es muss da zu einer – Verwechslung gekommen sein, seinerzeit. – Noch am Tag der Geburt Ihrer Tochter …«
    Stille. Unwirkliche Stille.
    »Wie – meinen Sie das?«, fragte Mo leise. »Wann soll es zu einer Verwechslung gekommen sein? Das ist doch unmöglich! Natürlich ist Hannah meine Tochter. Was reden Sie da?«
    »Mr Greenberg, bitte«, sagte Mr Levine beschwichtigend, aber Mo ließ ihn nicht zu Worte kommen. Sein Kopf dröhnte und ein heftiger Schmerz brandete irgendwo hinter seinen Augen hervor und legte sich wie ein heißer, eiserner Ring um seinen Schädel.
    »Hannah war eine Kaiserschnittgeburt. Sie wurde mir und meiner Frau gleich nach der Entbindung gebracht. In einem Wärmebettchen. Ich habe sie selbst herausgenommen und in meinen Armen gehalten, während die Ärzte meine Frau versorgten. Glauben Sie wirklich, ich hätte es nicht bemerkt, wenn man mir später plötzlich ein anderes Neugeborenes gebracht hätte?«
    Blicke wurden gewechselt.
    »Nicht später, Mr Greenberg«, sagte Dr. Turner leise. »Sondern davor . Unmittelbar nach der Geburt muss Ihr Kind verwechselt worden sein. Wie immer das geschehen konnte. – Sehen Sie …«
    »So ein Unsinn!«, schrie Mo gegen den Schmerz in seinem Kopf und gegen diesen bodenlosen Blödsinn an.
    »Wir wissen auch noch nicht, wie es genau geschehen konnte.« Der Geschäftsführer des Spencer-Hospitals wechselte einen nervösen Blick mit dem Anwalt, der bisher stumm geblieben war. »Aber Tatsache ist, dass es geschehen ist. – Mr Greenberg, wir haben die Blutproben Ihrer – Tochter untersucht und aus ihnen geht leider eindeutig hervor, dass dieses Mädchen nicht blutsverwandt mit Ihnen und Ihrer Frau ist. Ein Irrtum ist ausgeschlossen! Der Befund wurde mehrfach überprüft!«
    Eine neue Stille breitete sich aus, eine fast greifbare, feindselige Stille. Mo war die bedeutungsvolle Pause vor dem Wort Tochter in Mr Levines Aussage nicht entgangen. Wie erstarrt saß er da und fühlte nur Leere.
    »Mr Greenberg?«
    Stille. Stille. Stille.
    »Mr Greenberg? Wollen Sie vielleicht etwas zur Beruhigung?«
    »Lassen Sie mich«, sagte Mo abwehrend und schloss die Augen.
    Er sah wieder die unruhigen, flackernden Augen des Bären im Altaigebirge vor sich. Er glaubte, die Lärchen und Fichten zu riechen. Es gab dort Ansiedlungen von Himalaja-Zedern. Aber es gab auch kahle Bergzüge, die einen frösteln ließen. Und es konnte kalt dort werden. Bis zu minus vierzig Grad im Winter. Mo hatte den kasachischen Winter erlebt. Aber das war ein anderes Frieren gewesen als das, welches er jetzt

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