Wenn du mich brauchst
fühlte.
»Das – das kann alles nicht wahr sein«, sagte er schließlich und öffnete die Augen wieder. Er musste heftig blinzeln, das helle Licht blendete und brannte in seinen Augen.
Und danach: »Das ist Unsinn. Ich will davon nichts wissen.«
Und: »Helfen Sie Jonathan, aber lassen Sie den Rest meiner Familie in Ruhe, ich bitte Sie.«
Zum ersten Mal sprach nun Dr. Sheehy.
»Mr Greenberg«, sagte sie und fuhr sich durch die rötlich schimmernden Haare.
Mo beobachtete ihr Gesicht wie durch Nebel.
»Was?« Seine Stimme klang feindselig.
»Man kann diese ganze Angelegenheit leider nicht auf sich beruhen lassen«, erklärte sie. »Verstehen Sie doch, wir müssen den Tatsachen ins Auge schauen. Zwei neugeborene Kinder wurden vertauscht. Ihr Kind und das Kind einer anderen Familie. Auch die andere Familie hat ein Recht, die Wahrheit zu erfahren.«
»Was für eine Wahrheit?«, flüsterte Mo mühsam.
»Dass ihre wahre Tochter eigentlich Hannah ist. – Und dass das Kind, welches Sie seit siebzehn Jahren großziehen, in Wahrheit die Tochter dieser Familie ist, Mr Greenberg.«
»Was wollte Dr. Turner von dir, Mo?«, fragte Delia.
»Später«, flüsterte Mo.
»Abba!«, rief Jonathan und kletterte auf seinen Schoß.
»David und Hannah kommen jeden Moment«, fuhr Delia fort und streichelte Jonathans wirre Haare. »Sie haben eben angerufen.«
»Hannah kommt?«, stieß Mo erschrocken hervor.
Delia nickte.
»Hannah …«, flüsterte Mo und starrte vor sich hin.
»Moshe, was hast du? Was ist passiert?«
Er musste es ihr sagen. Er holte tief Luft, umarmte sie und Jonathan gleichzeitig, wärmte sich an ihr, roch den Duft ihrer dunklen Haare.
Und später, als Jonathan eingeschlafen war, begann er zu berichten. Verrückterweise begann er mit dem Bären im Altaigebirge.
Als er geendet hatte, weinten sie beide.
»Nein«, sagte Delia. »Nein, Moshe, nein.«
Dr. Turner schaute zur Tür herein.
»Gehen Sie«, bat Mo leise.
Dr. Turner nickte. Aber bevor sie ging, sagte sie: »Bedenken Sie, dass dieses Mädchen eventuell Knochenmark für Ihren kleinen Sohn spenden könnte. Man müsste es überprüfen. Dieses Mädchen, wo auch immer sie derzeit lebt, ist Ihre leibliche Tochter, Mr und Mrs Greenberg! Und sie ist Jonathans biologische Schwester.«
12. SKY
Ich betrachtete mich im Badezimmerspiegel.
»Hi, Sky«, murmelte ich abschätzend und starrte mich prüfend an. Meine Augen: grün. Meine Stirn: hoch. Meine Nase: kurz und gerade. Mein Mund: irgendwie breit. Ein paar vereinzelte Sommersprossen, aber nicht auf der Nase, sondern auf den Wangen, ganz außen Richtung Ohren.
»Es hätte schlimmer kommen können«, sagte ich zu meinem Spiegelbild. »Aber natürlich auch besser.«
Moon und Rosie sind, wie gesagt, beide platinblond. Leek ist rothaarig, wie ehemals sein irischer Urgroßvater Old Niall, der allerdings inzwischen schlohweißes Haar hatte. Ich bin die einzige Dunkelhaarige in der Familie.
»Du hast tolle Haare«, sagte Kendra oft. »Meine sind straßenköterfarbig. Ich könnte eigentlich Komplexe entwickeln, wenn ich so oft mit dir rumziehe!«
Das südkalifornische Sommerwetter war allerdings die Pest für meine Haare.
»Es ist immer irgendwie feucht von der Hitze«, hatte ich mal zu Rosie gesagt. »Und dann hängt es runter wie brauner Seetang!«
»Da hilft nur abschneiden«, murmelte Rosie und sah nicht mal von ihrem Buch auf. Damals las sie gerade, wie im Fieber, sämtliche Romane der guten, alten Marion Zimmer-Bradley.
»Obwohl, Skydarling …«, sagte sie plötzlich, hob nun doch den Kopf und betrachtete mich eingehend. »Mit deinen mystischen, langen dunklen Haaren und den hippen grünen Augen siehst du aus wie eine der Hohepriesterinnen von Avalon.«
»Brauchst du noch lange im Bad?«, rief Moon in diesem Moment. »Verdaust du ausführlich? Pinkelst du? Oder sinnierst du bloß? Weil – das könntest du auch woanders tun. Ich habe nämlich einen enormen Druck auf der Blase.«
Ich öffnete ihm die Tür.
»Sorry, Big Brother.«
»Schon okay«, antwortete Moon, schob mich aus unserem kleinen Bad und verriegelte sorgfältig die Tür hinter sich.
Rosie war unten und nähte an meinem Abschlussballkleid herum. »Dein kleiner, knackiger Busen füllt es obenrum irgendwie nicht ganz aus«, hatte sie gesagt, als ich es ihr vorgeführt hatte. »Der Stoff schlägt kleine Wellen, siehst du? – Ich denke, ich mache ein paar kleine, feine Abnäher hier und da, dann sitzt es besser.«
Die Lachtherapie
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