Wenn du mich brauchst
man verbissen nach einem Puzzleteil sucht und ganz plötzlich hat man es – und drückt es an seinen Platz. Und es klickt leise und passt ganz wunderbar. So wird es auch mit deinem Spender sein. Es wird Klick machen und wunderbar passen und dann wirst du wieder gesund und darfst nach Hause.«
»Okay«, murmelte Jonathan und lächelte unserem Abba zu.
Und dann bekam mein Vater diesen Anruf aus der Klinik und alles wurde anders. Es war früh am Morgen. Meine Mutter war die Nacht über bei Jonathan geblieben, aber David und ich saßen noch beim Frühstück. Die Schule würde erst in einer Stunde anfangen. Esther schlief oben in ihrem Zimmer. Sie kam selten vor zehn nach unten.
Wir hörten die Stimme am anderen Ende des Apparats nur gedämpft. Worte konnte man nicht verstehen.
»Ja?«, fragte mein Vater.
Die Stille schien endlos zu dauern.
David sah auf. »Ist was mit Joni …«, flüsterte er und deutete auf das Telefon, aber unser Vater schüttelte nur den Kopf und bedeutete ihm, still zu sein. Er war schon seit Tagen blass, aber jetzt hatte seine Haut wieder diesen Ton angenommen, der aussah, als ob er gleich das Bewusstsein verlieren würde.
»Sind Sie sicher, dass keiner aus unserer Familie als Spender infrage kommt?«, fragte er schließlich und seine Stimme klang furchtbar rau dabei.
David und ich sahen uns erschrocken an.
Der oder die Sprecherin am Ende der Leitung antwortete etwas.
»Ja. Ja, natürlich«, sagte mein Vater. »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Verstehe«, erwiderte er nach einer Pause.
Von draußen schien die Sonne herein und das Murmeln aus dem Hörer des schnurlosen Telefons wurde mühelos von dem fernen Hupen und Grillengezirpe übertönt. Ich hielt den Atem an und wusste nicht, was ich tun sollte. Wir waren so sicher gewesen, dass einer von uns als Knochenmarkspender infrage kam. Die Ärzte hatten von einer fünfundsiebzigprozentigen Wahrscheinlichkeit gesprochen.
Plötzlich veränderte sich der Tonfall meines Vaters. »Was meinen Sie? Was für Ungereimtheiten? Hat sich Jonathans Zustand verschlechtert? Ich habe gerade mit meiner Frau telefoniert und sie hat nicht …«
Der Anrufer schien ihn zu unterbrechen.
»Worum geht es denn dann?« Ich hatte meinen Vater selten so aufgeregt erlebt.
»Um Hannah?«, rief er dann. »Wieso um Hannah? Was ist mit ihr? Ist sie ebenfalls krank? Bitte, Dr. Turner, sagen Sie mir, worum es sich handelt!«
Ich hörte meinen Namen und hatte das Gefühl, dass ich jeden Moment den Boden unter den Füßen verlor. Was hatte ich damit zu tun? Was war mit mir? Was wollte dieser Dr. Turner?
David war aufgesprungen. »Abbe, du musst uns endlich sagen, was passiert ist«, zischte er.
Unser Vater drückte eine Taste, um das Gespräch zu beenden. Er sah von David zu mir. Dann griff er nach seinem Autoschlüssel und lief ohne ein weiteres Wort oder eine Erklärung aus dem Zimmer. Einen Moment später hörten wir den Motor seines Wagens in der Einfahrt aufheulen.
11. MO
»Hannah, Hannah – mein Augenstern«, murmelte Moshe außer sich vor Angst und hastete über das weitläufige Klinikparkareal. In seiner Jackentasche begann sein Handy, leise zu summen.
»Mo? Wo bist du?«, fragte Delia, als er das Gespräch annahm. Im Hintergrund plapperte Jonathan. Seine Stimme klang fröhlich. Es schien ihm heute Morgen etwas besser zu gehen.
»Unterwegs, Liebes«, sagte Mo heiser und räusperte sich. »Ich treffe kurz Doktor Turner in ihrem Büro und komme dann gleich zu dir.«
»Hast du es schon gehört, Moshe? Keiner von uns kann Joni Knochenmark spenden. Ich bin so verzweifelt.«
Delia weinte leise.
»Ja, ich habe es gehört. Es wird eine andere Lösung geben, Delia. Ich bin mir ganz sicher. Hab keine Angst.«
Keine Angst? Was sagte er da? Er selbst war halb tot vor Angst.
Dr. Turner wartete bereits. »Setzen Sie sich doch, Mr Greenberg.«
Er setzte sich. Die Ärztin war nicht alleine. Was sollte dieses Aufgebot an Menschen in dem kleinen Zimmer? Was war mit Hannah? Was – um Himmels willen – war nur mit seiner Tochter?
»Wollen Sie einen Kaffee?«
»Nein!«, entfuhr es Mo heftig. »Was ist hier los? Was ist mit meiner Tochter? Weist die Blutuntersuchung auf eine Krankheit hin?«
Krankenhausgeräusche im Hintergrund. Schritte. Ein Piepser. Immer wieder. Drängend. Ein schreiendes Kind. Türen gingen automatisch auf und wieder zu, begleitet von mechanischem Brummen.
Auf. Zu. Auf. Zu. Auf. Zu.
»Dies ist Dr. Laura Sheehy, Mr Greenberg. Sie ist die
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