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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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bei einer Fortbildung in Europa kennengelernt hatte, beschäftigte ihn trotzdem. Mr Goldblum sprach praktisch nicht, aber er war jähzornig, hatte blutunterlaufene Augen, und wenn er in Wut geriet, war mit ihm nicht gut Kirschen essen. Dennoch war er ein hervorragender Geigenbauer.
    »Du hast dir also ihren Namen gemerkt und ihre Anschrift«, begann meine Mutter von Neuem. »Und dann hast du dir im Internet ihre Telefonnummer herausgesucht und sie einfach so angerufen!«
    Mein Vater schwieg. Was sollte er auch sagen? Dieser Streit drehte sich seit Stunden im Kreis.
    »Eine Deutsche …« , murmelte David, auch zum wiederholten Male. Ich fühlte mich elend. Ausgegrenzt. Alleine. Wie mit Aussatz behaftet.
    »Rosa Luise Lovell …«, flüsterte meine Mutter, schlug die Hände vor ihr müdes Gesicht und begann wieder zu weinen. »… und das – Mädchen heißt tatsächlich Sky?«
    Sky Lovell . Das Mädchen. Sie war eigentlich Hannah Greenberg. Sie war ich.
    Und ich war sie. Ich war Sky Lovell.
    Das machte doch alles keinen Sinn.
    »Was, wenn sie nicht auf den Brief der Klinik reagieren? Wenn sie so tun, als hätten sie ihn gar nicht erhalten? Wenn sie das, was vorgefallen ist, einfach ignorieren?«
    Die Stimme meiner Mutter klang dünn. Sie nahm die Hände aus dem Gesicht. »Moshe, was dann?«
    Ging es hier nur im Jonathan? Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Du bist und bleibst meine Tochter, Hannah, hatte sie gesagt. Aber hatte sie es auch so gemeint?
    Ich war eine Halbdeutsche . Ich war nicht mehr ich.
    Wer war mein Vater?
    »Wo wohnen sie?«, fragte ich plötzlich.
    Keiner gab mir eine Antwort.
    »Bitte, wo wohnen sie?«, wiederholte ich meine Frage.
    Esther war hereingekommen. Sie schenkte sich ein Glas Wein ein und setzte sich in ihren Schaukelstuhl.
    »Wer ist bei Jonathan?«, fragte sie.
    »Zvi«, murmelte mein Vater. Mein Onkel war Zauberer und eigentlich das schwarze Schaf der Familie, er tingelte ziemlich viel herum, aber im Moment nahm er sich viel Zeit für Jonathan und meine Eltern waren ihm sehr dankbar dafür.
    »Das ist gut. Er ist lustig und ein guter Mensch. – Habt ihr das Mädchen schon erreicht?«, fuhr Esther fort.
    Das Mädchen … Ich schluckte.
    »Wo wohnen sie? – Abba – bitte …«, drängte ich leise.
    Mein Vater drehte sich langsam – und fast widerwillig – zu mir um und sagte es mir. Sein Gesicht war wie eine Maske. Unergründlich.
    Guten Morgen, Augenstern … Tausendmal hatte er es gesagt, aber heute Morgen nicht. Denn heute Morgen hatte er bereits gestritten, als ich herunterkam – mit meiner Ima? Mit meiner Mutter? – Mit seiner Frau Delia, die fast siebzehn Jahre meine Mutter gewesen war.
    »Willst du sehen, wo es ist?«, bot David leise an. »Wir können – ihr Haus per Google Earth suchen, wenn du willst.«
    »Okay«, sagte ich. Wir standen auf und schlichen uns hinaus. Keiner hielt uns auf, keiner richtete ein Wort an uns. Unsere Eltern schauten in verschiedene Richtungen des Wohnzimmers. Esther hatte die Augen geschlossen, wiegte sich hin und her, ab und zu bewegten sich ihre Lippen. Ihr Weinglas balancierte sie in der Hand. Betete sie? Für Jonathan? Für mich? Für unsere Familie, die gerade zerbrach? Oder sprach sie nur mit sich selbst, wie sie es manchmal tat, wenn sie schon etwas getrunken hatte?
    Und dann sahen wir es. David und ich saßen nebeneinander an seinem Arbeitstisch und starrten stumm auf das kleine graue Haus, das aus der Vogelperspektive wie ein winziges Kästchen in einer Ansammlung von anderen, unscheinbaren grauen Kästchen mit schmuddeligen Gärten dazwischen aussah.
    »Keine tolle Gegend«, sagte ich. »Das ist ja im Grunde egal, aber …«
    David nickte und mir schnürte sich die Kehle zusammen. Dort gehörte ich also hin.
    Dabei hatte ich morgen ein Cellokonzert zu geben.
    Dabei wollte nachher Sharoni kommen und mich zum Eisessen abholen.
    Dabei wartete im Benjamin-Franklin-Krankenhaus mein kleiner Bruder auf mich.
    Aber – eigentlich sollte Sky Lovell auf meinem Cello spielen. Und eigentlich wäre es an ihr, mit Sharoni ins jüdische Einkaufszentrum zu gehen. Und eigentlich sollte sie bei Jonathan sein. –
    Und ich? Ich gehörte in dieses kleine Haus am Hillcrest Drive im südlichsten Distrikt von Hollywood.
    Wieder starrte ich auf den grauen Fleck, von dem ich wusste, dass er mein eigentliches Zuhause war.
    »Wie sie wohl ist?«, murmelte ich und fühlte mich benommen.
    »Wer?«, fragte David, ohne mich anzusehen.
    Ich keuchte leise. »Sie«,

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