Wenn du mich brauchst
da war ich mir sicher.
Ein paar Lacher, ein paar Buh-Rufe, ein paar Pro- und Kontrakommentare waren die Antwort. Gershon kniff die Augen zusammen, während Mr Formeister, unser Rektor, sich erhob und nach vorne, und somit neben Gershon und mich, trat.
Sofort wurde es still in der Halle.
Mr Formeister war ein dünner, alter, wenig einnehmender Mann. Er hatte, wie wir alle wussten, in Vietnam gekämpft und dort ein Bein verloren. Er war streng, launisch und fast immer kurz angebunden. Aber er war fair. Und in diesem Sinne verwarnte er den antisemitischen Rufer, entschuldigte sich im Namen der Schule bei Gershon und seinen Klassenkameraden, die aber heute Abend nicht anwesend waren, weil Gershon der Einzige von ihnen war, der Lust – oder den Mut gehabt hatte, die Prom-Night mitzufeiern.
Mr Formeister erinnerte eindringlich an die Vorkommnisse an Gershons eigentlicher Schule, die es überhaupt nötig gemacht hatten, dass Gershons Klasse zu uns umquartiert worden war.
»Der, der hier eben gerufen hat, sollte sich schämen!«, schloss Mr Formeister seinen Vortrag. Und dann folgte eine Andachtsminute für die Schüler, die bei dem Brandanschlag auf Gershons Schule verletzt worden waren und von denen einer noch immer in Lebensgefahr schwebte.
»Hat man eigentlich herausgefunden, wer diesen Brandsatz geworfen hat?«, fragte ich Gershon hinterher leise, aber er schüttelte den Kopf.
Während des Büfetts schob sich dann Courtney Shatz an meine Seite.
»Was ist?«, fragte ich, weil sie so einen merkwürdigen Gesichtsausdruck hatte.
»… wie ist er denn so?«, fragte sie und zwinkerte mir penetrant zu.
»Wer?«, fragte ich ärgerlich.
»Dein – Jude. Dieser Gerson oder wie er heißt …«
»Gershon«, verbesserte ich sie kurz angebunden und nahm mir ein paar Chickenwings von einem der vielen Tabletts.
»Wie auch immer«, winkte Courtney ungeduldig ab. »Hier, probier mal die Mango-Sandwiches, die sind echt gut. – Sag, Sky, hast du schon mit ihm …? Du weißt schon. – Hat er einen langen …?«
Sie kicherte. »Mein Bruder Keith sagt, Schwarze und Juden haben immer lange …«
»Wenn du wüsstest, wie idiotisch du bist, Courtney!«, sagte ich genervt und ließ sie stehen. Aber es war wie ein Spießrutenlauf. Die Nächste, die mich ansprach, war Laura Sperry. Ich kannte sie seit Kleinkindertagen.
»Sky, warum hast du dir bloß einen jüdischen Freund zugelegt?«, fragte sie kopfschüttelnd und in einem Tonfall, als wäre ich freiwillig auf eine Leprastation oder etwas Ähnliches gezogen. Ich blieb ruckartig stehen und starrte sie ungläubig an. Laura war früher ziemlich nett gewesen. Diese Frage hätte ich von ihr niemals erwartet. Was war hier nur los? Laura trug ein enges silbernes Kleid, alles andere an ihr war irgendwie fliederfarben. Ihr geschminktes Gesicht glänzte und ihre getuschten Wimpern waren lang wie Spinnenbeine. Sie schaute mich erwartungsvoll an.
»Ihr habt doch alle einen Knall«, murmelte ich, schüttelte den Kopf wie sie vorher und ging zurück zu Gershon, Kendra und Moon.
»Ich bin echt froh, wenn der Spuk hier endlich vorbei ist«, seufzte ich und teilte mir mein Getränk mit Gershon, der nichts vom Büfett aß, weil natürlich nichts Koscheres dabei war.
»Du hast recht gehabt, Kendra, diese Proms sind das Allerletzte!«
Etwas später sprach mich Joe Donelli an. Er war mit mir im Literaturkurs, wenn auch nicht wirklich freiwillig. Sein Vater unterrichtete Literaturwissenschaften an der UCLA und bestand darauf. Trotzdem war Joe ein netter Kerl. Rund und gemütlich, irgendwie.
»Hi, Sky«, sagte er und grinste. »Wie ist es, hast du Lust, mit deinem Anhang nachher noch zu meiner Party zu kommen? Wir feiern im Haus meines Alten. Im Keller ist ein Pool, groß genug für Michael Phelps.«
Er nickte Gershon zu. »Nichts für ungut, Bruder. Diese Schule ist zwar voller Idioten, aber immer noch besser als diese aufgeblasene Privatschule, an der ich früher war. Da waren nur reiche Bonzen mit Armani- und Guccihirnen! Eines Tages habe ich gestreikt und mir diese Schule ausgesucht. Hier herrscht zwar der Mob – aber damit das echte Leben. Das ist mir lieber. Und ein bisschen Antisemitismus ist leider immer mit dabei. Ab und zu pöbeln sie auch über Schwarze, Hispanos und Freaks und so. Aber da stehen wir doch drüber, oder? Ich, zum Beispiel, bin halbjüdisch. Sei’s drum.« Er lachte dröhnend und schlug Gershon auf die Schulter.
»Danke für dein Statement«, sagte Gershon lächelnd
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