Wenn du mich brauchst
sagte ich.
»Und jetzt?«, fügte sie fragend hinzu und klopfte einladend auf die Decke, auf der sie bis eben geschlafen hatte.
»Jetzt Hunger«, antwortete Moon. »Willst du auch was? Falls dir zufällig jüdisch zumute ist …« Er lachte leise und wies auf Gershon. »Wir haben auch Koscheres dabei.«
Gershon sah eine Spur verlegen aus, aber es verging schnell wieder.
»Störe ich euch auch nicht?«, erkundigte sich Rosie in der Zwischenzeit besorgt.
»Natürlich nicht«, sagte Kendra sofort und ließ sich dicht neben ihr nieder. Sie ist eben wirklich ein treuer Rosie-Fan. Wir anderen setzten uns ebenfalls.
»Meine Mom würde nie im Garten schlafen. Und beim Gedanken an ein Mitten-in-der-Nacht-Fast-Food-Mahl im Freien würde sie wahrscheinlich der Schlag treffen«, erklärte sie achselzuckend. »Himmel, wie gut, dass ich hier und nicht zu Hause bin. Bei uns herrscht dauerhafte Ödnis!«
Wir lachten.
»Und was ist mit dir, Rosie? Was ist mit Hamburg? War’s schlimm?«, fragte Moon, während er unsere Chicken McNuggets und die Cheeseburger auspackte.
Rosie seufzte. »Frag besser gar nicht«, sagte sie. »Es war die Hölle. Zuerst haben sie mir das Leben erklärt, dann haben sie mir die Ehe und die Männer erklärt, dann haben sie sich auf Ehebrecher und unterwürfige Ehefrauen eingeschossen, dann wollten sie mich zwingen, nach Deutschland zurückzukommen, dann haben wir uns angeschrien und ich musste weinen, dann kamen wir noch mal auf diesen irren Anrufer vom Abend zu sprechen und sie behaupteten stur, dem müsse man nachgehen, es könnte schließlich etwas Wahres daran sein …«
»So ein Blödsinn!«, sagte Moon ärgerlich.
Rosie nickte niedergeschlagen, knabberte an einem goldbraun panierten McNugget und schenkte sich ein Glas Wein ein. Wir anderen tranken Cola.
»Ist Cola denn koscher?«, erkundigte sich Moon, vielleicht um das Thema zu wechseln, vielleicht aber auch, weil es ihn wirklich interessierte.
Gershon nickte. »Laut einer brandneuen Koscherliste sind es alle Colasorten außer Light Zitrone«, erklärte er. »Zitrone kann Weinsäure enthalten. Und die wäre dann nicht koscher.«
»Klingt insgesamt kompliziert«, sagte Kendra. »Da lobe ich mir ausnahmsweise mal die bescheuerten Baptisten. Die essen alles und machen sich keinen Kopf.«
»So schwierig ist es nicht«, sagte Gershon. »Und ich kenne es ja nicht anders.«
Später in der Nacht sagten wir dann nichts mehr. Wir lagen alle im Gras und schauten in den Himmel. Ich fühlte Gershons Nähe und für einen Moment war meine Welt vollkommen in Ordnung.
Am anderen Morgen klingelte in aller Herrgottsfrühe unser Telefon. Der Anrufbeantworter sprang an und am anderen Ende der Leitung war Old Niall.
»Leek? Leek? Bist du da? – Oder Rosie?«, sagte er mit trauriger Stimme. Ich hörte, wie Rosie aufstand. »Das Leben, meine beiden Guten, ist ein Jammertal …«, erklärte mein Urgroßvater leise. Und ehe meine Mom das schnurlose Telefon auch nur gefunden hatte, war die Leitung schon wieder unterbrochen. Es tutete gedämpft. Rosie drückte sofort die Nummer sechs, unter der Old Nialls Anschluss in Nordirland gespeichert ist.
Vergeblich. Old Niall nahm nicht ab.
Und ein paar Minuten später fand Rosie dann im Briefkasten ein formell aussehendes, längliches Kuvert des Howard-Spencer-Memorial-Hospitals. Aber das bekam ich zuerst gar nicht mit.
16. HANNAH
»Wie konntest du das tun, Moshe?«, schrie meine Ima außer sich. »Das ist es, was ich nicht verstehe, was nicht in meinen Kopf will …«
»Es tut mir leid, Delia«, sagte mein Abba leise. »Das habe ich doch jetzt schon tausend Mal gesagt. Es war – ein Fehler von mir.«
Meine Mutter schlug die Hände vors Gesicht. »Du hast damit – vielleicht – alles verdorben!«
David und ich sahen uns an. Unsere Eltern stritten selten, aber heute schon den ganzen Tag.
Lori, ein Angestellter meines Vaters, schaute zur Tür herein. »Mo, hast du einen Augenblick – Zeit?«, fragte er vorsichtig. »Es geht um das Cello von Frederick Santore …«
»Jetzt nicht, Lori!«, sagte mein Vater ungehalten.
»Aber …«, wandte Lori ein, doch mein Vater winkte derart brüsk ab, dass er es aufgab. »Ich werde Mr Goldblum fragen«, murmelte er und schloss die Tür wieder.
Mr Goldblum war der andere Mitarbeiter meines Vaters, er war deutlich älter als er und eine schwierige Persönlichkeit. Laut ärztlichem Befund war er autistisch und nicht arbeitsfähig, aber mein Vater, der ihn vor vielen Jahren
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