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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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sagte ich leise. Mehr nicht.
    »Hallo, Palindrom«, sagte David am anderen Morgen. Es war Samstag, Schabbat. »Hallo, Shar.«
    Ich saß wie auf Kohlen. Meine Mutter war die Nacht über bei Jonathan geblieben. Mein Vater war eben nach draußen gegangen, um Onkel Zvi und Tante Hayley zu begrüßen, die uns heute besuchen kamen. Esther war noch in ihrem Zimmer.
    Die Miene meines Vaters hatte mir, als wir uns begegnet waren, nicht verraten, ob er schon einen Anruf von den Lovells bekommen hatte oder nicht. Und ich hatte mich nicht getraut nachzufragen. Einmal war da das Problem, dass ich nicht wusste, wie ich es formulieren sollte.
    Haben Lovells angerufen?
    Hat mein leiblicher Vater dich schon erreicht, Abba?
    Alles klang falsch.
    Und dann war da sein trauriges Gesicht. Ich wollte ihm nicht noch mehr Kummer machen – und das Thema Lovell machte ihm Kummer. Dabei war die andauernde Sorge um Jonathan schon fast zu viel für ihn. Wie für uns alle. Der Anblick von Jonis Shalom-Bild über dem Esstisch war manchmal kaum auszuhalten. Und trotzdem stand mein Vater dauernd davor.
    »Hi«, begrüßte Sharoni David, der zum morgendlichen Schabbat gebet heruntergekommen war. David betete oft in unserer Gegenwart, er hatte mir erklärt, er wolle seinen Glauben so offen wie möglich ausleben und nicht nur im verborgenen Kämmerlein.
    Er legte Siddur und Machsor, sein Gebetbuch für den Alltag und das für Festtage, nebeneinander auf den Tisch. In unserem Wohnzimmer hängt ein großer, alter Spiegel an der Wand, aber Gebete vor einem Spiegel waren verboten. Darum drehte David sich in unsere Richtung. Er war in seinen Tallith, den langen, gefransten Gebetsschal, gehüllt. Auch die Gebetsriemen, den Tephillin, hatte er schon angelegt. Das eine Paar war längs um seinen rechten Arm gewunden, das andere um den Kopf und die Enden hingen ihm über die Schulter. Sie dienten dazu, die zwei schwarzen Lederkapseln mit den Gebeten zu befestigen – die eine an der Stirn, die andere am Oberarm.
    »Verrückte Sitte«, flüsterte Sharoni.
    »Ein uraltes Ritual, weiter nichts«, erklärte David achselzuckend.
    »Schon gut, Mr Luchsohr.« Shar lachte.
    »Die Kapsel an der Stirn soll den Menschen daran erinnern, dass Gott ihm Verstand geschenkt hat, die Kapsel am Arm ist Mahnung, Muskelkraft durch Geisteskraft zu bändigen«, fuhr David fort. Dann begann er, auf Hebräisch zu beten.
    Wir lauschten ihm schweigend. Ich mochte es, meinem älteren Bruder beim Beten zuzusehen. Wir saßen einfach da und taten gar nichts. Mein Rücken und mein Nacken fühlten sich steinhart an und ich versuchte, mich zu entspannen. Das Ergebnis war kläglich.
    Hinterher frühstückten wir alle zusammen. Die beiden Schabbat kerzen brannten und es war schön, dass Zvi und Hayley heute da waren, wenn wir schon auf meine Mutter und Jonathan verzichten mussten.
    Esther saß stumm und gereizt zwischen meinem Vater und meinem Onkel und sprach kein Wort. Es schien einer ihrer besonders düsteren Tage zu sein.
    »Stellt euch vor, sie haben sich endlich gemeldet«, sagte mein Vater plötzlich. Auf seinem Teller lag ein unberührter Zimtbagel und seine Stimme klang erleichtert und angespannt zur gleichen Zeit.
    »Wer?«, fragte David, der nach dem Beten immer noch eine Weile etwas weggetreten wirkt.
    »Die … Lovells – Genauer gesagt, er hat sich gemeldet …«, sagte mein Vater. »Er hat – eure Ima im Krankenhaus angerufen. Auf ihrem Mobiltelefon …«
    Ob er fragen würde, woher die Lovellsdiese Nummern überhaupt hatten? Ich hielt einen Moment den Atem an. – Nein, er fragte nicht. Vielleicht war das nicht so wichtig für ihn. Oder er hatte einfach noch keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Aber für mich war es wichtig, denn ich hatte mit ihm gesprochen. Ich hatte den Anfang gemacht. Ich dachte an dieses kleine, schäbige Haus am Hillcrest Drive im Süden Hollywoods, wo ich eigentlich hingehörte, wo meine Wurzeln, mein eigentliches Zuhause war.
    Es war eine einfache Gegend, daran war nicht zu rütteln. Wir dagegen waren – wohlhabend, wenn man es so wollte. Und die Lovells waren eben nicht sehr wohlhabend. Natürlich war das egal, aber …
    »Dann haben sie dir deinen verrückten, überstürzten Anruf in der Zwischenzeit verziehen?«, fragte Zvi.
    Mein Vater hob die Schultern. »Delia sagte, er sei jedenfalls sehr freundlich gewesen. Entgegenkommend. Aber auch besorgt. Um – seine Tochter. Wie sie das alles aufnimmt …«
    Shar warf mir einen Blick zu.
    Sie … S ie

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