Wenn du mich brauchst
hatte. Und mein Abba war bei Mr Goldblum und Lori in der Werkstatt, weil ein wichtiger Kunde mit einem sehr wertvollen Instrument erwartet wurde.
Im Haus klingelte unser Telefon. Ich ging hinein und nahm den Hörer ab. Vielleicht war es meine Mutter.
»Hallo?«
»Hallo. Hier spricht Leek Lovell …«, sagte eine freundliche Stimme.
Lovell. – Leek Lovell?
Er?
Leek? Was war das für ein Name? Leek – mein Vater?
Ich spürte, wie der Hörer in meiner Hand zu zittern anfing.
»Ja?«, fragte ich leise.
»Ich weiß nicht, ob ich – ungelegen anrufe …«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung zögernd.
Ich schwieg.
»Ich weiß auch gar nicht genau, wie ich anfangen soll«, fuhr die Männerstimme fort. Sie klang jung und – eigentlich sympathisch.
Meine Kehle war wie zugeschnürt.
»Eigentlich ist es doch nur, als ob du adoptiert wärst«, hatte Sharoni vor ein paar Tagen gesagt. »Nicht dramatischer. Und adoptiert sind massenweise Leute, Han. – Ich kenne alleine schon total viele: meine beiden Cousinen. Die Tochter meiner Kieferorthopädin. Eine Freundin meiner Mutter. Sie ist ein Findelkind aus Äthiopien. Und dann noch die drei Kinder vom besten Freund meines Vaters. Sie kommen alle aus Indien.«
Ich hatte dazu geschwiegen. Hatte Sharoni recht?
Ich kannte natürlich auch adoptierte Kinder. Die Kinder meiner ersten Lehrerin an der Grammar School stammten aus Korea, süß waren sie. Und dann war da noch Arik – Jonathans kleiner, penetranter Freund. Er war, wie wir alle wussten, ein Samenspendekind, weil sein Dad als Kind irgendeine Krankheit durchgemacht hatte, die ihn zeugungsunfähig gemacht hatte.
Aber sogar Arik kannte seine Herkunft.
»Ich habe eine Mom«, erklärte er gerne selbstgefällig zu allen passenden und unpassenden Zeiten. »… und zwei Dads. Einen biologischen Dad – und meinen normalen Dad! Bei ihm wohnen Mom und ich.«
Aber bei mir war das alles über Nacht gekommen. Über mich hereingebrochen. Ich war mir immer sicher gewesen, dass meine Ima und mein Abba meine wirklichen Eltern waren. Das war mein Terrain gewesen: Sicherheit.
Und jetzt hatte ich irgendwie einfach plötzlich den Boden unter den Füßen verloren.
»Hallo?«, wiederholte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Sind Sie noch dran?«
»Ja …«, flüsterte ich und versuchte, mich zusammenzureißen. Was Arik, die kleine Nervensäge, konnte, musste ich doch auch schaffen.
»Wollen Sie – mit meinen Eltern sprechen?«, sagte ich daher schnell, aber ich konnte es nicht verhindern, dass meine Stimme wackelte.
»Ja, das wäre bestimmt das Beste«, überlegte der Mann.
Er musste mein biologischer Vater sein. Wer sollte er sonst sein?
»Sie sind leider nicht zu Hause«, fuhr ich fort und diesmal klang meine Stimme schon etwas fester. »Soll ich Ihnen vielleicht ihre Mobilrufnummern geben?«
Der Mann schien einen Moment zu überlegen. »Ja. – Oder nein«, sagte er dann und lachte ein leises, jungenhaftes Lachen. Wie alt er wohl war? Er klang ungefähr tausend Jahre jünger als Moshe – als mein normaler Vater, wie Arik es formuliert hätte.
»Sie wissen – worum es geht?«, fragte er schließlich zögernd.
Ich schluckte.
»Ja«, sagte ich mühsam.
»Okay, das erleichtert die Sache – nicht sehr, aber wenigstens ein bisschen …«
Wieder dieses leise Lachen.
Ich gab mir einen Ruck. »Hören Sie, meine Eltern warten wirklich dringend auf Ihren Anruf. Es geht um meinen kleinen – Bruder … Wissen Sie darüber Bescheid?«
Diesmal lachte er nicht. »Ja, ich habe einen groben Überblick«, sagte er. »Er ist krank und er benötigt eine Knochenmarkspende. Und es könnte sein, dass unsere Tochter … - also …«
Er sprach nicht weiter, aber es half mir zu fühlen, dass er fast genauso nervös war wie ich.
Shar war in der Zwischenzeit ebenfalls ins Haus gekommen.
Sie stand dicht neben mir, während ich die beiden Handynummern diktierte.
»Meine Mutter können Sie gleich anrufen«, sagte ich zum Schluss. »Mein Vater hat einen wichtigen Termin. Bei ihm müssten Sie noch ein Weilchen warten. In etwa einer Stunde ist er wieder erreichbar.«
Der Mann bedankte sich und dann wollte er, wie es schien, noch etwas sagen, aber ich hatte für den Moment genug.
»Ich muss jetzt leider Schluss machen«, sagte ich darum hastig und legte den Hörer auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Wer war das?«, erkundigte sich Shar. »Du bist weiß wie die Wand, Han.«
»Ich nehme an, mein – biologischer Vater«,
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