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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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Israel!
    »Scrabble?«, wiederholte David.
    Der alte Mann nickte.
    »Ja. Am Computer.« David nickte.
    »Und hier«, fügte ich hinzu und deutete auf die schon recht mitgenommene Scrabble schachtel in unserem Spieleregal, halb verborgen hinter einem bunten Wandvorhang, der das vollgestopfte Regal vom Esstisch trennte.
    »Gutes Spiel«, sagte der Cordhosenmann.
    Esther schnarchte laut auf.
    »Bruder und Schwester von dir?«, fragte die graublonde Deutsche und deutete auf David, den Kauenden, und Shar.
    »Er ist mein Bruder. Sie meine Freundin«, sagte ich und deutete ebenfalls auf die beiden. Wenn ich nicht so nervös gewesen wäre, wäre es ein bisschen wie in der Sesamstraße gewesen. Wer-ist-wer zum Mitraten.
    »In Realität – dein Bruder heißt Moon«, sagte die Frau da plötzlich eindringlich. »Verrückter Name. – Meine Tochter ist so. Ein bisschen verrückt, schwierig. Du siehst aus wie sie. Du besser, denke ich. Nicht verrückt.«
    »Okay, sie mag ihre Tochter anscheinend nicht besonders«, murmelte Shar. »Komplizierte Lady.«
    Ich schwieg – was sollte ich sagen?
    Als Nächstes blieb der Blick von Mrs Lovells deutscher Mutter an den vielen gerahmten Fotografien auf der Lieblingskommode meiner Mutter hängen. Wie magnetisch davon angezogen, ging sie darauf zu und nahm vorsichtig eine Babyaufnahme von mir in ihre beringte, sommersprossige Hand.
    »Du«, sagte sie und es war eindeutig keine Frage.
    Ich nickte beklommen.
    Sie sagte etwas auf Deutsch, zeigte das Bild ihrem Mann und starrte wieder darauf.
    »Waren Sie schon mal in einem Vernichtungslager?«, fragte David da plötzlich. Wir sagten nie Konzentrationslager, Esther hätte uns sofort korrigiert. »Auschwitz? Dachau? Buchenwald? Haben Sie das je gesehen? Die Gräueltaten der Deutschen?«
    Sie verstanden anscheinend nur die drei Lagernamen, aber sie zuckten zusammen und die Frau stellte rasch das Bild zurück.
    »Konzentrationslager?«, fragten sie. »KZ?«
    David nickte und sah ihr fest in die Augen.
    »Was ist mit Konzentrationslager? Tust du meinen, ob ich war dort schon?«
    David nickte wieder.
    »Bergen-Belsen bei Celle, Niedersachsen. – Und Neuengamme bei Hamburg. Da war ich oft, häufig. Mit Schülern. Ich war Lehrerin«, sagte die Frau und lächelte ein dünnes Lächeln. Vielleicht fand sie, diese Art Lächeln passte gut, wenn man über die Vernichtungslager der Deutschen sprach. – Oder es war einfach das Lächeln, über das sie verfügte.
    »Okay«, sagte David. Dann wies er auf unsere schlafende Urgroßmutter.
    »Sie war in Auschwitz. Meine Großmutter wurde dort geboren.«
    Die beiden Deutschen nickten mit eigenartigen Mienen. Betreten? Verwirrt? Oder nervte David sie mit seinen Fragen?
    »Esther ist Alkoholikerin«, fuhr David fort. »Sie hat Auschwitz nie wirklich überwinden können. In ihrer Gefühlswelt ist sie immer noch dort, teilweise wenigstens. Verstehen Sie?«
    Aber das taten sie offenbar nicht.
    »Wir sind geboren nach dem Krieg«, sagte der Cordhosenmann nämlich bloß, sich selbst verteidigend, und wedelte dazu mit seinen Händen, als wolle er eine düstere Wolke imaginärer Fliegen fortwedeln.
    »Das ist keine Entschuldigung«, murmelte David ärgerlich.
    »He«, sagte Shar und stieß ihn sanft in die Seite. »Du kannst auch nichts für das Dahinmetzeln der Indianer, das unsere Vorfahren veranstaltet haben …«
    »Wir wollen dich gerne sehen wieder, Hannah«, sagte Mrs Lovells Mutter in diesem Moment. Sie holte eine Visitenkarte aus ihrer Tasche. »Du bist Familie. Du bist uns willkommen, jederzeit.«
    Und damit gingen sie endlich. Als Shar erleichtert die Tür hinter ihnen schloss, brach ich in Tränen aus.
    »So sehe ich das auch«, knurrte David aufgebracht. »Diese Klinik sollte man verklagen! Die haben, wenn ihr mich fragt, damals vor fast achtzehn Jahren einen ganz schönen Scheiß verzapft. Unmöglich stammst du von solchen Hohlrollern ab, Han!«
    Am Abend klingelte unser Telefon. Mein Vater hob den Hörer ab. Meine Mutter war bei Jonathan. Esther saß vor dem Fernseher und sah sich eine neue Dokumentation über deutsche und österreichische Konzentrationslager auf BBC an. Neu entdecktes Bildmaterial, grausame, furchtbare Bilder, die einem fast das Blut in den Adern erstarren ließen. Sie saß kerzengerade, mit zusammengekniffenen Lippen, ohne Regung im Gesicht. Sie hatte sich einen Scotch eingeschenkt, das Glas zitterte leicht in ihrer Hand.
    David war mit Gabriel in seinem Zimmer. Sie studierten dort zusammen

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