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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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die Gemara, den schwierigeren Teil der Thora .
    »Mr Lovell? – Leek, natürlich … – Himmel, guten Abend …«, sagte mein Vater, ein Ruck ging durch seinen Körper und er legte die Klinikunterlagen, die er gerade studiert hatte, zur Seite. »Wir können Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar wir Ihrer Tochter …«
    Er schwieg einen Moment, anscheinend hatte Mr Lovell – der Maler – ihn unterbrochen.
    »Ich verstehe nicht …«, sagte er dann und setzte sich in den Sessel, in dem heute Nachmittag Mrs Lovells Mutter gesessen hatte.
    Ich hob den Kopf. Durch den Hörer hindurch hörte ich leise seine Stimme. Ich war nur runtergekommen, um nach meinen Cellonoten zu suchen, die irgendwie wie vom Erdboden verschwunden waren. Vielleicht hatte sie jemand in das Regal hinter dem bunten Wandvorhang gelegt.
    »Wie bitte? Ich verstehe nicht …«, fuhr mein Vater verwirrt fort und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Die Eltern Ihrer Frau? Bei uns? Heute?«
    Er schaute mich fragend an.
    Ich hob die Schultern – ich hatte es ihm gleich erzählen wollen, als er nach Hause gekommen war. Aber dann war der Anruf aus der Klinik gekommen, dass Sky Lovell sich dort gemeldet hatte. Morgen würde ihr Blut untersucht werden.
    Mein Vater hatte so hoffnungsvoll ausgesehen, da wollte ich ihn nicht gleich wieder durcheinanderbringen, indem ich ihm von diesem Überraschungsbesuch berichtete. Und außerdem hatte mich der Gedanke an Sky Lovell abgelenkt. Aus irgendeinem Grund hatte ich dauernd das vage Gefühl, sie sei meine wiedergefundene Schwester. Dabei war das doch Blödsinn. Sie hatte mit mir im Grunde gar nichts zu tun. Sie war Davids Schwester. Und Jonathans.
    Ich war der Niemand. Ich hatte mit ihr nichts zu tun. Sie war die Tochter meiner Eltern.
    »Nein, ich hatte keine Ahnung«, sagte Mo verwirrt und verstimmt, wie es schien. Wieder sprach Mr Lovell. Mo warf mir einen Blick zu.
    »Wie sie waren? Ich weiß es nicht … Was genau meinen Sie, Leek?« Er kratzte sich am Kopf, als es irgendwo hinter Mr Lovell am anderen Ende der Leitung laut wurde.
    »Sie schreien sich an. – Nicht Mr Lovell, Hannah – es sind Frauenstimmen …«, sagte mein Vater leise zu mir. Der leichte Ärger in seiner Stimme war verschwunden. Vielleicht hatte ich sie mir auch nur eingebildet.
    »Es tut mir leid, dass ich es dir noch nicht erzählt habe, Abba«, antwortete ich gepresst, aber da sprach schon wieder Mr Lovell, wie es schien. Und gleich darauf wandte mein Vater sich an mich.
    »Hannah, Mr Lovell bittet dich in seinem und im Namen seiner Frau um Entschuldigung für diesen Überfallbesuch, wie er es nennt.«
    Ich lächelte vage.
    »Er sagt … das war so nicht abgemacht. Mrs Lovells Eltern haben sich unsere Adresse eigenmächtig aus den Klinikpapieren herausgesucht – und sind aus eigenen Stücken hergekommen.«
    Ich nickte und dachte an die Blumen und die Kette, die sie mir mitgebracht hatten.
    »Hannah?«, fuhr mein Vater fort und sein Gesicht war auf einmal voller Nervosität. »Mrs Lovell … sie würde dich gerne kurz sprechen, wenn es für dich – in Ordnung ist …«
    Ich schloss die Augen. Jetzt war also ich an der Reihe.
    Sky Lovell hatte meine Mom getroffen.
    Jetzt musste ich mit ihrer Mom sprechen.
    »Okay«, sagte ich leise.
    »Mr Lovell betont ausdrücklich, du sollst nur den Hörer nehmen, wenn es für dich in Ordnung ist – und du dich nicht überrumpelt fühlst …«
    Ich fühlte mich überrumpelt, schon zum zweiten Mal an diesem Tag, aber ich griff dennoch nach dem Telefonhörer.
    »Hallo?«, fragte ich leise und mit Herzklopfen, aber ich sprach ins Leere. Ich hörte nur Schritte und leises Flüstern, aber im Hintergrund waren lautere Stimmen und irgendwo krachte eine Tür in ein Schloss.
    »Hallo?«, fragte ich ein zweites Mal und kam mir blöd vor.
    Mein Vater stand immer noch neben mir.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich besorgt.
    Ich schwieg und starrte auf die Babyfotografie, die Mrs Lovells Mutter heute Nachmittag so schnell als meine wiedererkannt hatte.
    Meine Mutter hatte dort nicht nur Aufnahmen von meinen Brüdern und mir aufgereiht, sondern auch Bilder von meinen Cousins und Cousinen: Chajm, Alon, Ilan, Joel, Rebekka und die anderen aus Ramat Aviv, Haifa und Jerusalem.
    Wie hatte diese Frau mich so schnell gefunden? Ich war in dieser Galerie ein Baby unter einer Masse von Babys und Kleinkindern.
    »Hallo? Hannah?«, riss mich plötzlich eine helle, aufgeregte Stimme aus meinen Gedanken. War sie das?

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