Wenn du mich brauchst
bedeutete nichts, weil er oft Carsharing mit Lori machte, der ein Auto mit Hybridantrieb fuhr. Der Wagen meiner Mutter und Davids Auto waren nicht da.
Neugierig gingen wir ins Haus.
»Abba?«, rief ich probeweise. Erst Richtung Werkstatt, dann Richtung Wohnzimmer. Aus der Werkstatt hörte ich Mr Goldblums Gebrumme. Er brummte immer beim Arbeiten, teilweise richtig laut, es war ein Teil seiner Krankheit und wir hatten uns längst daran gewöhnt.
Aus dem Wohnzimmer hörten wir Esthers Stimme, vermischt mit anderen, unbekannten Stimmen.
»Esther hat Besuch«, sagte Shar.
Ich hob die Augenbrauen. Esther hatte sonst nie Besuch, sie ist kein sehr gesellschaftlicher Mensch. Die Familie – und Heinrich Müller im fernen Schottland – sind gerade genug für sie.
»Wie reden sie? Ist das Jiddisch?«, erkundigte sich Sharoni verwundert. Wir lernen an unserer Schule Hebräisch und Spanisch.
»Ich glaube – Deutsch …«, sagte ich alarmiert. Deutsch und Jiddisch klingen ziemlich ähnlich. Mein Herz klopfte plötzlich wie verrückt.
Wir schauten zur Tür herein. Esther saß stocksteif auf dem Sofa und ihre Besucher auf den beiden alten, schon ziemlich durchgesessenen Sesseln. Auf dem Wohnzimmertisch lagen ein großer Strauß Sonnenblumen und daneben ein kleines, silbern eingepacktes Päckchen.
»Esther?«, fragte ich vorsichtig.
Die beiden Fremden drehten sich gleichzeitig zu mir um.
Der Mann war grauhaarig, trug Cordhosen und einen Wollpulli, obwohl es draußen warm war. Die Frau – die ich schon mal gesehen hatte – hatte blonde Haare mit silbrigen Strähnen, kinnlang und ordentlich gefönt. Sie war schwarz und weiß gekleidet, elegant und schlank, aber ebenfalls nicht mehr jung. Ihre grauen Augen waren hell und streng und sie war sorgfältig geschminkt. Sie schaute mich an und legte plötzlich die Hände auf den Mund. Auch der fremde Mann musterte mich.
Shar stand dicht neben mir. »Achtung, Augenausdemkopffallgefahr …«, murmelte sie und ihre bunten Zöpfe in den schwarzen Haaren klimperten alarmiert.
Die fremde Besucherin sagte etwas. Sie war – ganz klar – die Frau, die Shar und ich in Hollywood aus dem Haus der Familie Lovell hatten kommen sehen. Der braune Hund hatte sie angebellt.
Die Frau sagte etwas zu Esther.
»Das sind Mr und Mrs …« Meine Urgroßmutter hielt inne und wandte sich an die fremde Frau.
»Marsirske«, sagte die Frau laut und deutlich. »Dorothea.«
Sie wies auf sich. »Herrmann.« Sie deutete auf den Mann.
»Sie sagt, sie sind deine – Großeltern aus Deutschland«, fuhr Esther fort und ihr Gesicht war ernst und nachdenklich und besorgt. Wenigstens kam es mir so vor.
»… die Eltern von Rosie Lovell, Hannahle.« Esther nickte knapp, dann verfiel sie in Schweigen.
Die Fremden nickten ebenfalls und die Frau sagte wieder etwas.
»Was – was sagt sie?«, fragte ich.
Esther starrte auf einen imaginären Fleck in der Ferne.
»Nur, dass du aussähest wie ihre – Tochter als junges Mädchen.«
Ich schluckte.
»Verrückte Sache«, sagte Shar neben mir.
»Hallo, Hannah«, sagte die Frau plötzlich in gebrochenem Englisch zu mir und reichte mir ihre beringte Hand. Man hörte meilenweit, dass sie Deutsche war. Hoffentlich kam David nicht ausgerechnet jetzt nach Hause!
»Schön, dich zu sehen. Dich zu treffen. Ich bin deine Großmutter. Ich komme aus Deutschland. Die Blumen sind für dich. Und – auch das …«
Sie drückte mir das silberne Päckchen in die Hand und lächelte auffordernd.
»Du sollst es aufmachen«, übersetzte Shar die Geste überflüssigerweise.
Esther starrte immer noch ins Nirvana.
Ich musste an meine Großeltern in Israel denken, während ich langsam das Päckchen öffnete. Mein Großvater Yitzchak hatte fast genauso helle Haare wie diese fremde Frau aus Deutschland. Schließlich hatte ich jahrelang angenommen, meine Haare von ihm geerbt zu haben. Er war dick und fröhlich und roch immer intensiv nach seinem Pfeifentabak, weil er dauernd rauchte. Obwohl er so dick war, fuhr er gerne auf seinem Rennrad durch die Gegend. Das graue Haar meiner Großmutter Sarah war fast immer zu einem dicken Pferdeschwanz zurückgebunden. Und sie trug eigentlich immer Pullover und Jeans, außer an den großen Festtagen in der Synagoge.
Das Geschenk war eine Halskette mit einem Mondstein als Anhänger.
»Danke …«, murmelte ich.
Die Frau nickte mir zu und sagte wieder etwas in deutscher Sprache, wieder in Esthers Richtung.
»Jaja, sie wollen mit dir in Kontakt
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