Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
dass er sich herüberbeugte, um die Tür neben mir zuzuziehen.
8
Der Tod mochte meine alten Erinnerungen ans Autofahren ausgelöscht haben, aber er konnte mir gewiss nicht meine neuen nehmen. Je weiter Joshua fuhr, desto mehr schmolz meine ursprüngliche Angst vor der Fahrt und den anschließenden Ereignissen dahin.
Während Joshua mit dem geliehenen Auto die steilen, kurvenreichen Straßen außerhalb des Parks entlangraste, rutschte ich auf meinem Sitz nach vorn, bis ich beinahe gegen das Armaturenbrett gedrückt dasaß. Ich beobachtete, wie der dichte grüne Wald wie ein Bildstreifen vor der Windschutzscheibe an uns vorüberzog. Dass ich es nicht körperlich spürte, wie ich im Auto saß, stimmte mich kein bisschen traurig. Ich fühlte mich ungebunden und unglaublich schnell – als flöge ich. Ich packte den Rand des Sitzes unter mir, und sagenhafterweise spürte ich, wie das raue Leder an meinen Fingerspitzen entlangschabte.
» Hey, Amelia?«
Joshuas besorgte Stimme riss mich aus den Gedanken, und das Gefühl des Leders verschwand sofort wieder.
» Ja?« So sehr ich seinen Anblick auch genoss, konnte ich doch die Augen kaum lang genug von der Straße losreißen, um ihm auch nur einen raschen Seitenblick zuzuwerfen.
» Ich will dir ja nicht vorschreiben, was du zu tun hast, aber würdest du bitte nach hinten rutschen? Wie du dahockst, setzt du viel Vertrauen in meine Fahrkünste.«
Ich lachte. » Na ja, es ist ja nicht so, als könnte ich durch deine Windschutzscheibe segeln.«
Aus den Augenwinkeln sah ich ihn tief die Stirn runzeln. Das Bild seines Autos, wie es auf den Grund des Flusses sank, blitzte in meinen Gedanken auf. Ich schüttelte angesichts meiner eigenen Blödheit den Kopf.
» Tut mir leid«, murmelte ich. » Schlechter Witz.«
» Ist schon in Ordnung«, antwortete er mit einem matten Lächeln. » Aber … trotzdem, du machst mich nervös.«
» Tut mir leid«, wiederholte ich und ließ mich in den Sitz zurückgleiten.
Den Blick hielt ich unverwandt auf die verschwommene Landschaft vor den Fenstern gerichtet. Ich verspürte immer noch das kribbelnde Verlangen, mich wieder vorzubeugen, also packte ich den Sitz, um an meinem Platz zu bleiben, und versuchte vergebens, das Gefühl von Leder auf meiner Haut wiederaufleben zu lassen.
Schließlich kamen wir von dem Wald in ein Städtchen. Die Straße schlängelte sich als eine Art Hauptstraße an einzelnen kleinen Gebäuden und verstreuten Kiefern entlang. Ein bemaltes Holzschild am Straßenrand begrüßte uns in » Wilburton, Oklahoma!«.
Die Stadt erinnerte mich an ein vage vertrautes Foto, eines, das ich vor langer Zeit gesehen hatte, jetzt aber nicht einordnen konnte. War ich im Tode durch diese Stadt gekommen? Ich hatte den Orten, durch die ich gewandert war, nie sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ich konnte mir nicht sicher sein, und die ungewisse Vertrautheit führte dazu, dass ich mich auf meinem Sitz wand.
Zu bald schon verlangsamte Joshua das Tempo auf ein paar Meilen pro Stunde. Als Nächstes bog er in eine Seitenstraße, die dichter von Kiefern gesäumt war. Dann wurden die Bäume spärlicher, und ein niedriger Gebäudekomplex kam in Sicht. Als Joshua auf einen Parkplatz einbog, erblickte ich ein paar Schüler, die herumliefen oder sich auf den Weg in die Korridore zwischen den Gebäuden machten.
» Geschafft«, seufzte Joshua erleichtert. Er parkte den Wagen, löste dann seinen Gurt und griff auf die Rückbank, um nach seiner Schultasche zu suchen.
Ich konzentrierte mich ganz auf die roten Backsteingebäude vor uns. Ich nahm die flachen weißen Dächer in mich auf, die dunkelroten Bänke auf dem Rasen, das verblichene Metallschild mit dem Schulmaskottchen. Etwas an den Gebäuden verursachte mir ein Jucken – ohne dass ich hätte sagen können, was.
» Die gute alte Wilburton Highschool. Sollen wir?«
Dass Joshuas Stimme so dicht neben mir erklang, ließ mich auf meinem Sitz zusammenzucken. Er stand neben mir, aber außerhalb des Autos, und hielt mit einer Hand den Rahmen der Beifahrertür, während er mit der anderen die Tasche gepackt hielt, die von seiner rechten Schulter hing. Während ich alles in mich aufnahm, hatte ich gar nicht gemerkt, wie er ausgestiegen war und meine Tür aufgemacht hatte.
» Ähm …«
Ich spielte am Stoff meines Kleids herum, auf einmal wieder nervös. Vor der Begegnung mit Joshua hätte mich ein bevorstehender Kontakt mit der Welt der Lebenden traurig gemacht. Dass Joshua sich meiner
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